Re: ARD-Themenwoche "Glaube"
Hier geht es nicht darum, jemanden zum "Dödel" zu degradieren, oder für dumm zu erklären. Es ist vielmehr so, dass man sich in so vielen Dingen des Alltags darauf verlässt, dass Dinge aufgrund eines naturwissenschaftlichen, rationalen Prozesses funktionieren, und nicht weil man daran glaubt.
"Ohmsches Gesetz" statt "Elektrik-Trick", sozusagen.
Genau in der "Mutter aller Fragen", der Gottesexistenz und Beweise, die diese stützen würden, klammert man die Ratio und Vernunft aus und glaubt irgendetwas, auf dem man in der Regel der unkritischsten und irrationalsten Phase seines Lebens beglückt wurde.
Auch "Akademiker" - eher wohl Naturwissenschaftler - können in ihrem Feld nur etwas reißen, weil sie den Glauben ausklammern und den "lieben Gott" für ihr Fachgebiet einen guten Mann sein lassen. Glühlampen und Dynamos erfindet man nicht, indem man es für göttliche Fügung oder Strafe hält, wenn man an den angeschlossenen Stromkabeln einen geballert kriegt. Das macht den Unterschied, und das dürfte dann gleichzeitig auch der Grund sein, warum auch Kirchen Blitzableiter brauchen - es ist eben keine göttliche Intervention in die physische Welt, wenn der Blitz ins Turmgebälk schießt.
Jede Bemerkung, nicht unkritisch zu glauben, sondern sich selbst Gedanken zu machen, entspricht der aufklärerischen Forderung, den Mut aufzubringen, sich seines "eigenen Verstandes" zu bedienen, anstatt Glaubenssätze einfach zu übernehmen. Das steckt hinter dem "Sapere aude!" Kants - anstatt des "Deus vult!" irgendwelcher Religionswächter.
Interessanterweise fühlt sich hier jemand direkt aufgerufen, gleich zwei Anwandlungen von Apologetik und religiöser Replik gleichzeitig auszupacken, die Religionskritiker nicht selten hören - eine Variante von "Es gibt keine Atheisten in Schützenlöchern" und ein "Ich bete für dich".
Für mich ist das interessant, weil man gerade so etwas in unseren Gefilden eigentlich kaum noch hört, sondern viel eher in den USA. Dort pflegt man neuerdings mit "Danke, ich denke für dich!" zu antworten, um letztendlich auch wieder an die Ratio des Einzelnen zu appellieren.
Was du zum Glauben beschreibst, Tiramisusi, würde ich erst einmal als eine funktionalistische Betrachtungsweise ansehen. Du gehst in hohem Maße darauf ein, was Glauben - oder eher die Abwesenheit von Glauben - für dich persönlich bedeutet. Das ist alles legitim - egal, wie man es sogar betrachtet. Die Bewertung des Nutzen und der Funktion des Glaubens beweist aber noch nicht, dass die Glaubensbehauptungen an sich wirklich wahr oder falsch sind.
Das sind mehr Gründe, warum man irgendetwas glaubt, oder eben nicht, aber keine Beweise.
Die meisten "bewussten" Atheisten, die ich kenne, die also plausible Gründe für die Abwesenheit von Glauben bei ihnen benennen können, interessieren sich weniger, was hier Nutzen hat, sondern was verifizierbar oder falsifizierbar ist. Als Agnostiker interessieren sie sich zudem eher für den tatsächlichen gegenwärtigen Kenntnisstand, möglichen Grenzen der Erkenntnis, die vielleicht irgendwann verschoben werden könnten, vielleicht aber auch niemals überschritten werden könnten.
Es hat eben seine Gründe, warum Naturwissenschaftlicher deutlich häufiger eben doch Atheisten sind, oder bestenfalls Deisten oder Pantheisten, weil dies eben weniger Eingeständnisse erfordert, seinen auf rationale Erkenntnis getrimmten Verstand auszublenden.