Zwang ergibt sich eher aus der Machtstruktur organisierter Religion, wie sie bei uns manchmal sogar strukturell mit dem Staat gleichzusetzen ist. Ob der Einzelne sich den Schuh der aktiven Missionierung anziehen muss, muss er schon selbst wissen. Darüber zu reden ist jedenfalls oft genug religiöses Werben und hat damit Zweck.
Missionierung ist nicht immer die direkte Verkündigung zum Zweck der Missionierung. Das geht schon noch subtiler. Oft genug wird kein Hehl daraus gemacht, dass ein ordentlicher Teil der kirchlich-religiösen Aktivitäten nicht allein dem Dienst am Menschen aus reiner Nächstenliebe und Humanität geschuldet ist, sondern der Bekehrung. Mutter Teresa ist hier wohl so ein Negativbeispiel, wenn man abseits der heiligen Darstellung der Kirchen zu hören und lesen bekommt, dass "Mutter" wohl der Auffassung war, sie könne die Menschen missionieren, indem sie sie leiden ließ und damit Gott und Jesus näher bringen wollte. Das ist vielleicht bis dahin noch die extremste Form der Missionierung in der Gegenwart, mit der das Christentum aufwarten kann.
Letztendlich beanspruchen aber Caritas und Diakonie als Sozialkonzerne ihr besonderes kirchliches Arbeitsrecht genau damit, dass sie schon jeder Putzfrau und jedem Arzt den "Verkündigungsauftrag" andichten - nicht nur Klerikern. Auch da ist die Missionierung sehr präsent.
Die Moslems machen es üblicherweise subtiler: die nennen es einfach "dawa" - "Aufruf", und wer den Aufruf gehört hat und im nicht folgen will, dem wird mit Höllenqualen nach dem Tod gedroht. Natürlich haut das erst einmal nur Gläubige vom Hocker, wenn solche Drohungen ausgesprochen werden, aber dank religiöser Beeinflussung ist das Konzept von Himmel und Hölle, wie auch der damit verbundene Schuld- und Sünderkomplex nicht so wahnsinnig unbekannt. Daran kann der Islam zwecks Missionierung anknüpfen, ohne es Missionierung nennen zu müssen.
Mit konfessionellem Religionsunterricht an staatlichen Schulen habe ich eher andere Probleme. Ich sehe hier die Neutralität einer staatlichen Institution in Fragen der Religionsfreiheit verletzt, denke, dass mit konfessionellem Unterricht eher der Bock zum Gärtner gemacht wird. Zudem weckt dieser Unterricht nun Begehrlichkeiten von muslimischer Seite, die auch gerne mit einem spezifischen Glauben bedient werden, was die Angelegenheit für mein Empfinden nur noch schlimmer macht.
Ich bin für einen gemeinsamen, überkonfessionellen Unterricht für alle Schüler, in dessen Rahmen dann unter anderem auch die unterschiedlichen Religionen und Konfessionen und deren Haltung zu verschiedenen konkreten Themen Teil des Unterrichts sein sollen.
Es war kein Zufall, dass ein wichtiger Baustein Erdogans in der Re-Islamisierung der Türkei und Abschaffung des türkischen Laizismus gerade darin bestand, den Religionsunterricht an staatlichen Schulen wieder einzuführen.
Insofern musste man in der Türkei über etwas als Rückwärtsentwicklung diskutieren, was bei uns als Teilaspekt der hinkenden Trennung zwischen Staat und Kirche sogar Standard ist.