Bei mir war es halt so, dass ich keine Ostverwandtschaft hatte. Ich war auch bis heute noch im Osten der Republik. Allerdings war ich auch noch nie in Schleswig-Holstein und im Saarland.
Das Wissen über 'die Ossis' beschränkte sich deshalb auch nur auf die Geschichten vom Hörensagen. Von denen, die in den 80ern Berlin besuchten hörte man nur 'die haben nix', 'die müssen für Lebensmittel Schlange stehen' und 'alles ist kaputt', um das mal aufs Wesentliche zu reduzieren. Nach der Wende kamen dann auch ziemlich schnell die üblichen Klischees vom jammernden Ossi, der in Passivität darauf wartet, dass die Welt besser wird und schlechtes Deutsch spricht. Und rechtsradikal sind sie auch alle. Für mich waren das zwar immer Klischees, aber revidieren konnte ich sie auch nicht. In meinem entfernteren Bekanntenkreis gab es einen Typen, der in meinem Alter war und mit seinen Eltern schon früh über Ungarn in den Westen kam, allerdings hatte der nie viel von seiner alten Heimat erzählt, wer hätte es ihm auch verübeln können, bei den Vorstellungen vom Osten, die in den Köpfen der Leute hafteten? Seine Ostidentität beschränkte sich im Wesentlichen auch auf seinen etwas anderen Akzent und seine 'coole Karre', weil sein Vater ihm ostdeutsche Wertarbeit in Form einer Simson S51 angedeihen ließ. Kontakt mit Ossis, mit denen man sich auch mal über die ganze Thematik unterhielt, hatte ich dann erst später, im Erwachsenenalter, bei der Bundeswehr und am Arbeitsplatz. Da hatte ich mich dann erstmalig über die typischen, vorherrschenden Klischees auf beiden Seiten austauschen können, und auch mal die typischen Westklischees geballt serviert bekommen, was gar nicht so verkehrt war.
Im Nachhinein kann ich die Ressentiments der Ostdeutschen nämlich ganz gut nachvollziehen. Da war der Nachbar, der im Osten 'Bruchbuden' auf eigene Faust sanierte, und für einen wirklich satten Gewinn wieder verscheuerte, beim Autohändler, Marke 'ehrlicher Erwin' standen kaum noch runtergerockte Gebrauchtwagen, ganze Heizungsfirmen machten sich in den Osten für Monate auf zur Montage, Beamte gingen in den Osten, zum Aufbau der demokratischen Verwaltung ("um den Ossis zu zeigen, wie Verwaltung funktioniert, und um im 'wilden Osten' 'Buschgeld' abzugreifen"), und unser Versicherungsvertreter war auch schon da.
Da war bei einigen Leuten richtig Goldgräberstimmung angesagt.
Jedenfalls denke ich, dass es noch eine Weile dauern wird, bis diese Klischees kein Thema mehr sind. Man muss dem Ganzen etwas Zeit geben. Jüngere Generationen haben da vielleicht die Chance, etwas weniger vorurteilsbehaftet aufzuwachsen, im vereinten Deutschland. Die erste gesamtdeutsche Generation ist schließlich auch schon erwachsen.