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Re: Frage zu "Metropolis" (Stummfilm)
Habe in der Neuen Zürcher Zeitung noch folgende Würdigung zu Langs 80. Geburtstag gefunden (erschienen am 5. Dezember 1970). Man beachte vor allem den Schluss des Textes. Damals wurde im Ausland sehr wohl zur Kenntnis genommen, dass seine Filme in Deutschland kaum liefen - weder im Kino, noch im "winzigen Bullauge des Fernsehbildschirms".
Von Siegfried bis Mabuse Frits Lang 80 Jahre alt H.H. Von William (oder Wilhelm) Dieterle, Jahrgang 1893, ist bekannt, daß er Filmregie, als sei dies ein besonders schmutziges Gewerbe, stets mit schneeweißen Handschuhen zu führen pflegt. Vom Kino-Grandseigneur Josef von Sternberg (1894 bis 1969) heißt es, er habe als Freund extravaganter Allüren besonders gern im Filmatelier Morgenmäntel aus Seide getragen und aus langen Zigarettenspitzen geraucht. Sein Wiener Landsmann Fritz Lang, ihm geistesverwandt als kultivierter Ironiker und Repräsentant des Fin de siècle, hat nicht minder apartes Zubehör aufzuweisen: Ein markantes Monokel, so berühmt wie das Erich von Stroheims, und auffallend altmodisch weite Beinkleider als sinnfälliger Ausdruck des saloppen Filmmetiers. Am 5. Dezember 1890 in Wien als Sohn eines Architekten geboren, sollte Fritz Lang wie der Vater Baumeister werden, aber schon früh brach er das Architekturstudium ab und besuchte Zeichen- und Malschulen in Wien und später in München. «Nun folgten», wie er selbst (1928) berichtet hat, «Jahre des Wanderlebens. Deutschland, Belgien, Holland, Mittelmeerländer und die afrikanischen Küstengebiete waren meine Stationen. Mit Malen und Zeichnen verdiente ich meinen Lebensunterhalt, zwischendurch auch einmal als Kunstschütze eines Wanderzirkus oder als Conferencier am Kabarett.» Es sei hinzugefügt, daß Lang in diesen Jahren auch die Südsee, Indonesien, China, Japan und Rußland bereiste, wo er exotische Eindrücke sammelte, die in einigen seiner frühen Filme («Halbblut», 1919; «Die Spinnen», 1919; «Harakiri», 1919; «Der müde Tod», 1921; «Spione», 1928) eine dominierende Rolle spielen. «Ich hatte einfach Lust», so hat Lang 1964 rückblickend erklärt, «Abenteuerfilme zu drehen. Damals war ich jung und liebte alles, was exotisch war. Außerdem wollte ich meine Reisesouvenirs verwenden.» Seinen ersten Kontakt zum Film fand der kriegsverwundete Fritz Lang während seiner Wiener Genesungszeit durch die Bekanntschaft mit einem Vertreter der Berliner Filmfirma Decla und durch Regisseur Joe May (1880 bis 1954), dem er im Wiener Opern-Café seine ersten Filmstoffe anbot: «Die Hochzeit im Exzentrik-CIub» und «Hilde Warren und der Tod», beide 1917 von Joe May verfilmt, dem Lang 1918, ein Jahr vor seiner ersten selbständigen Filmregie («Halbblut»), bei «Herrin der Welt» assistierte. Als frühes Meisterwerk gilt der 1921 entstandene, für Längs Inszenierungsstil (Schatten, Lichtreflexe, Betonung architektonischer Strukturen) kennzeichnende Film «Der müde Tod» mit Lil Dagover, Walter Janssen und Bernhard Goetzke. Mitarbeiterin am Drehbuch war die gerade erst ein Jahr mit Fritz Lang verheiratete Thea von Harbou (1888 bis 1954). Rudolf Klein-Rogge (1889 bis 1955), Exehemann der Harbou und später der verbrecherische Dämon Mabuse, trat im «Müden Tod» in zwei Rollen auf. «Die selbst heute noch wirksame Bildersprache», so das Urteil des bedeutenden Soziologen und Filmtheoretikers Siegfried Kracaucer (1889 bis 1966), «ist um so erstaunlicher, als man den ganzen Film noch mit einer Handkurbelkamera drehen mußte und noch keine Nachtaufnahmen machen konnte.» Während Längs Mabuse-Filme («Dr. Mabuse, der Spieler» 1922; «Das Testament des Dr. Mabuse» 1933) angstvolle politische «Vorahnungen» waren, «wie sie damals über die deutsche Kinoleinwand flackerten» (Kracauer), sind zwei andere, weltberühmt gewordene Lang-Werke höchst zwiespältige Gebilde mit einer geradezu bestürzenden Affinität zum Nazismus: Der zweiteilige «Nibelungen»-Film (1924) und das gesellschaftsutopische Lichtspiel «Metropolis» (1926), in dem «mit Hilfe geschickt angebrachter Spiegel winzige Ateliermodelle als Riesenbauten» (Kracauer) erscheinen. Zum «Nibelungen»-Film (Herbert Jhering 1924: «Bühnendekorationen zu einem Kriemhild-Drama von Ernst Hardt»), der Elemente der nationalsozialistischen Ideologie enthielt und unterstützte (Kult des Nordischen, Führerprinzip und Anbetung des Heldentodes), hat immerhin Propagandaminister Goebbels erklärt: «Hier ist ein Filmschicksal nicht aus der Zeit genommen worden, aber so modern, so zeitnah, so aktuell gestaltet, daß es auch die Kämpfer der nationalsozialistischen Bewegung innerlich erschüttert hat.» Daß ein Film wie «Metropolis», «eine Kreuzung von Krupp und Richard Wagner» (Kracaucer), mit seiner Verschleierung sozialer Gegensätze und einem Trugbild einer Klassenharmonie den ungeteilten Beifall der Nazis finden würde, konnte nicht überraschen. Ebensowenig wie der (hieraus resultierende?) Plan der NS-Führung, den «nicht reinen Arier» Fritz Lang zum Chef des deutschen Films zu machen. Lang wurde dies, gottlob, nicht. Nach dem eiligen Verbot seines zweiten Mabuse-Films, in dem Hitler sich selbst erkennen sollte, war Lang gut beraten, schleunigst Deutschland zu verlassen. Die seltsame Affinität zur Ideologie der Nazis in den «Nibelungen» und in «Metropolis» ist bis auf den heutigen Tag nie recht plausibel motiviert worden. Waren die Sujets, ohne jegliche Skrupel wertfrei betrachtet, für Lang nur willkommene Gelegenheiten, seine lnszenierungskünste zu entfalten und tecchnische Tricks aufzubieten (wie später auch in der «Frau im Mond», 1929), oder erlag Lang damals mit seiner dafür prädestinierten Neigung zum Romantizismus einer Faszination des Antithetischen? In jedem Fall: «Längs Regiekonzeption war objektiv nicht so frei von faschistischer Ideologie, wie seine subjektiven Ueberzeugungen es sein mochten» Gregor/Patalas). Als Lang 1930 seinen berühmten Kriminalfilmklassiker «M» (1931, mit dem unvergessenen Peter Lorre - 1904 bis 1964 - in der Rolle eines pathologischen Kindermörders, vorbereitete, wollte er dem Film ursprünglich den Titel «Mörder unter uns» geben. Die hellhörigen Nazis sahen darin eine Anspielung auf ihre Terrormethoden und versuchten, Lang mit einer Fülle anonymer Drohbriefe einzuschüchtern. Seit diesen Tagen, so hat Fritz Lang in einem Gespräch Kracauer erklärt, sei er politisch erst volljährig geworden. Nicht unwichtiger Nachtrag: Thea von Harbou, später Autorin verschiedener Veit-Harlan-Filme («Der Herrscher», «Jugend», «Verwehte Spuren»), ließ sich, nachdem sie der NSDAP beigetreten war, von Fritz Lang scheiden. Zwischenstation für Lang auf dem Wege nach Hollywood war Frankreich, wo er 1934 Franz Molnars «Liliom» mit Charles Boyer verfilmte. Zwei Jahre später noch in Paris hatte ihn David O. Selznick als Regisseur für die MGM verpflichtet drehte Lang in den USA seinen wohl bedeutendsten amerikanischen Film: «Fury» mit Spencer Tracy, eine leidenschaftlich engagierte Studie über Massenhysterie und gegen die Lynchjustiz. Auf diesen Film trifft das zu, was Fritz Lang, vor Jahren nach dem moralischen Antrieb seiner Arbeit befragt, erklärt hat: «. . . daß man für das, was man für sich als erkannt hat, kämpfen muß, selbst gegen überlegene Kräfte, auch wenn am Ende der Tod droht. Der Kampf, die Auflehnung ist wichtig.» Freilich ist es kennzeichnend für den zu einer pessimistischen Weltsicht neigenden Fritz Lang, daß die meisten seiner Filmhelden, auch wenn er sie überlebensgroß stilisierte (Lang 1924: «Um sie eindringlicher zu machen, erhebt man sie über die Köpfe der Vorübergehenden»), nicht stark genug sind, sich gegen ein dunkles Fatum erfolgreich zur Wehr zu setzen. «Man hat es heute leicht», so kommentierte der Kritiker Peter W. Jansen vor fünf Jahren die Haltung Längs, «in dieser Frucht einer unbegriffenen Weltkatastrophe, die der Erste Weltkrieg war, den durch Rationalismus nicht zersetzten und unschädlich gemachten Samen zu erkennen, aus dem am Ende der Faschismus wuchs und die Ohnmacht, die ihn hinnahm.» Von seinen amerikanischen Filmen in den zwei Jahrzehnten zwischen 1936 und 1956 schätzt Lang selbst am meisten «Fury», «Woman in the Window» («Gefährliche Begegnung», 1944, mit Edward G. Robinson und Joan Bennett), «Scarlet Street» («Straße der Versuchung», 1945, wieder mit Robinson und der Bennett) und «While the City Sleeps» («Die Bestie», 1956, mit Dana Andrews, Rhonda Fleming und George Sanders). Erwähnung verdient auch der die Ermordung Heydrichs in Prag behandelnde Film «Hangmen Also Die» nach einem Drehbuch von Bertolt Brecht, der, damals in Hollywood ansässig, ein Gedicht schrieb, das der spöttische Skeptiker Lang, der mächtigen Industrie Hollywoods ständig Tribut zahlend, gern zitiert: «Jeden Morgen, mein Brot zu verdienen, gehe ich auf den Markt, wo Lügen gekauft werden. Hoffnungsvoll reihe ich mich ein zwischen die Verkäufer.» Später, in Frankreich, hat Lang einem Interviewer von «L'Express» erklärt: «Hören Sie, ich will Ihnen sagen, worauf es ankommt: Daß man des Morgens, wenn man sich im Spiegel betrachtet, nicht Lust hat, sich anzuspucken.» Und lachend hat er hinzugefügt: «Mir passiert das oft.» Man darf vermuten, daß Lang damit, ohne dies expressis verbis zu sagen, auch seine drei späten deutschen Filme gemeint hat: «Der Tiger von Eschnapur» (1958), «Das indische Grabmal» (1958; und «Die 1000 Augen des Dr. Mabuse» (1960), diese unfreiwilligen Parodien auf seine allerersten Filme. In Frankreich ist die Verehrung des Altmeisters Lang neben Pabst und Murnau sicherlich der bedeutendste deutsche Filmschöpfer jener großen Zeit, da «der deutsche Film noch keine Wurstfabrik war» (Pierre Käst) - schier grenzenlos und erfaßt unkritisch verklärend, selbst noch Längs mißratene Werke, so auch den durch seinen Wildwestheroismus unerträglichen Kriegsfilm «American Guerillas in the Philippines» (1950). 1965 erhielt Lang in Paris anläßlich einer ihm gewidmeten, umfangreichen Retrospektive den Orden eines «officier des arts et des lettres». Im eigenen Land, in Deutschland, wo der Prophet so häufig nichts gilt, sind viele Filme Längs, allenfalls vorgeführt in Gildetheatern oder bei Filmklubveranstaltungen (zum Beispiel 1964 in Bad Ems), so gut wie unbekannt. Es wäre an der Zeit, endlich auch dort das Gesamtwerk Längs (43 Filme in 45 Jahren) jedermann zugänglich zu machen. Besieht man sich jedoch die bundesdeutsche Kinoverdummung mit Pornoschund und Heintje-Schmus, so wird die Erfüllung dieser Aufgabe, wenn überhaupt, dem viel zu winzigen Bullauge des Fernsehbildschirms vorbehalten bleiben. Nun, Fritz Lang kann warten. Er ist ja gerade erst 80 Jahre alt geworden. In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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