|
Re: 100. Geburtstag Herbert Reinecker?
Gemessen daran, dass Reinecker mit "Derrick" ca. 1 Milliarde Zuschauer erreicht hat, ist er als Drehbuch-Autor wohl der erfolgreichste.
Dass zu seinem 100. Geburtstag zumindest im Netz rein gar nichts zu finden ist, hatte ich fast erwartet. Es ist dennoch eine Fragwürdigkeit unserer Öffentlichkeit - Geschichtsvergessenheit oder -verdrängung, eindeutig aus politischen Gründen, über die man diskutieren kann. Ich schreibe gerade ein Buch zu Reinecker zu Ende, das dem Phänomen von "Der Kommissar" und "Derrick" auf den Grund geht. Das Thema hält für mich selbst jeden Tag Entdeckungen bereit. Reinecker war etwas, was man früher "Volksschriftsteller" genannt hat. Er wusste, was Menschen interessiert - zumindest in seiner Generation. Er wusste, wie er es erzählerisch verpacken musste. Unter der Oberfläche dieser Krimi-Serien verbirgt sich ein riesiger Eisberg von Bedeutungen, die man nur vor dem Hintergrund von Reineckers Biografie verstehen kann. Er sah sich 1945 mit der Tatsache konfrontiert, dass man seine Generation als Nazis und Mörder ansah, was ihn als Chefredakteur von Zeitschriften der Hitlerjugend und regelmäßigen Leitartikler der SS-Zeitung "Das schwarze Korps" durchaus persönlich betraf. Er hatte Fronterfahrung als Berichterstatter, gehörte aber nicht zur kämpfenden Truppe. Wie wir zu Horst Tappert erfahren haben, hatten andere Beteiligte aber auch mehr direkte Kriegserlebnisse, Tappert selbst ja in der SS, worüber wir wenig wissen außer Einsatzregionen. Reinecker konnte derlei gar nicht leugnen und tat dies auch nicht. Er hat in den wenigen Interviews offen darüber gesprochen, dass er sich mit dieser Zeit auseinandersetzen musste - alles sei danach "vor diesem dunklen Hintergrund" geschehen. Meine eigenen Thesen gehen deutlich darüber hinaus, was in dem Buch "Reineckerland" 2009 thematisiert wurde. Die NS-Vergangenheit Reineckers wurde schon einmal in der Fachpresse 1988-90 angesprochen. 1996 habe ich mit einem Redaktionskollegen ein Uni-Seminar zum Thema gegeben, wo wir dazu an den Serien schon einiges erarbeitet haben. Heute weiß ich, dass mir damals die Mittel fehlten, vieles weitere zu sehen. Man muss sich dazu mit dem NS-Komplex in all seine Facetten beschäftigen, mit der historischen Holocaust-Debatte, Geschichtsrevisionismus, Verschwörungstheorie und noch spezielleren Themen, die auf die Gebiete von Geheimgesellschaften und Okkultismus führen. Das mag etwas verstiegen klingen, ist aus meiner Sicht aber gut begründbar - und führt in meinem Fall zu einem über 500seitigen Buch, das hoffentlich einen guten Überblick gibt - die fast 400 Serienfolgen und weitere Produktionen Reineckers enthalten natürlich noch mehr Material und Anspielungen. Insofern würde ich auch sagen, dass Reinecker 'mehr' war als ein "Volksschriftsteller". Er kannte sich historisch gut aus, hat sich mit Spezialthemen der Geheimpolitik beschäftigt (wie schon bekannte Personen wie Alfred Rosenberg oder Erich Ludendorff in der Nazi-Zeit). Und nicht zuletzt haben andere Kreative zum Ergebnis beigetragen, wie der sicher bedeutende Produzent Helmut Ringelmann und die Szenenbildner Wolf Englert und Margret Finger oder auch die Kameramänner. In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
|