Die Brasilianer sind spätestens nach dem 0:2 nervlich bedingt auseinander gefallen. Sie waren mental überfordert, offenbar schon von Turnierbeginn an. Erfreulich war aber, dass sie fair zu Ende gespielt haben, immerhin nach der Pause nochmal gegen gehalten haben. Aber Neuer hat da nix anbrennen lassen. In ähnlichen Spielen haben viele Mannschaften ihren Frust durch üble Fouls am Gegner ausgelassen. Das haben die Brasilianer nicht getan - außer einem kurzen, aber folgenlosen Ausraster von David Luiz.
Gut auch, dass die deutschen Spieler und Jogi Löw anschließend klaren Kopf behalten haben. Das Finale, ob gegen Argentinien oder die Niederlande, ist völlig offen. Da zählt der Kantersieg genau nichts mehr. Deutschland ist nicht um 6 Tore besser als Brasilien. Das war nur gestern der Fall, weil die Brasilianer mit dem Druck nicht fertig geworden sind. Ein Druck, dem die Deutschen übrigens 1974 beinahe auch erlegen sind. Nach der damaligen Vorrunde im eigenen Land sah es ziemlich mau aus. Nur war man zum Glück nicht ausgeschieden nach den schwachen Spielen gegen Chile und Australien und der Niederlage gegen die DDR. Nur deswegen konnte dann das mannschaftsinterne Donnerwetter ("Nacht von Malente") die Wende bringen - bis hin zum WM-Titel. - Auch Italien etwa hat es zu Hause weder 1980 (EM) noch 1990 (WM) geschafft, das Endspiel zu erreichen.
Solche unerwarteten Einbrüche hat es im Fußball immer wieder gegeben. Auch noch so hoch bezahlte Profifußballmannschaften sind eben keine Maschinen, sondern bestehen immer noch aus Menschen. In der Bundesliga hat Bayern München etwa zu den Glanzzeiten von Maier, Beckenbauer und Müller mal zu Hause ein 0:7 gegen Schalke kassiert und in Kaiserslautern nach einer 4:1-Halbzeitführung noch 4:7 verloren. Auch "mein" Verein Werder Bremen kann ein Lied davon davon singen: etwa in der Saison 1981/82. Als das Team als Aufsteiger die Liga aufmischte und direkt in den UEFA-Cup stürmte, gab es zwischendrin eine 2:9-Klatsche in Frankfurt - usw., usw. Nur bei einer WM ist das in dieser Form noch nie passiert.
Brasilien stand für Fußball-Romantik. Begnadete Fußballkünstler wie Garrincha, Pelé, Jairzinho, Rivelino, Zico, Socrates, Romario, Ronaldo, Rivelino, Ronaldinho und Neymar gaben den kleinen Leuten in ihrem Elend Freude, Stolz, Hoffnung. Der Rekordweltmeister trat dabei - bis 2010 - nie durch vorsätzliches übles Foulspiel auf, im Gegensatz zu anderen Teams, obwohl die Brasilianer oft kräftig einstecken mussten - eben, weil sie überlegen waren. Im Vorbericht zum Spiel gestern erzählte der brasilianische Ex-Dortmunder Dede von seiner Kindheit in den Favelas - es gab für ihn nur Fußball, sonst nichts. Solche Geschichten hörte man früher auch von europäischen Fußballstars - die in der Nachkriegszeit aufgewachsen sind. Deshalb haben solche Niederlagen eine derart zerstörerische Wirkung, wie auch die Randale zeigt, die es nach dem Spiel gegeben hat. Dazu kommt das brasilianische Trauma von 1950, als die Selecao im letzten Spiel gegen Uruguay den WM-Titel verspielte, in Maracana. Ein Selbstmord bereits im Stadion, Anstieg von Herzattacken und Selbstmorden in den Wochen danach.
[brasil2014.fm]
Das alles sollte 2014 "korrigiert" werden. Das wussten die Spieler - es war zu viel für sie. Ich hoffe, die brasilianische Fußballromantik kommt wieder!