Ich mache hier zum Thema Pariser Attentat aus gegebenem Anlass noch mal einen neuen Thread auf.
Warum?
Weil es am Donnerstag, einen Tag nach dem Attentat, im WDR 5- „Tagesgespräch: Charlie Hebdo Attentat - Wehrhafte Demokratie gefragt“ eine journalistische Kostbarkeit ganz besonderer Art zu hören gab, finanziert durch unsere Demokratieabgabe.
Der eingeladene Politikwissenschaftler Hajo Funke diskutierte mit Anrufern über die Bluttat, deren Ursachen und Folgen.
Komplett nachzuhören hier:

[www1.wdr.de]

Eine Sendung, die für Hörer, die sich ihre Empathiefähigkeit bewahrt haben, über Strecken nur schwer erträglich war. Mit welcher Frechheit, Dreistigkeit und Selbstverständlichkeit hier Täter zu Opfern wurden, man die eigentlichen, mit Kalaschnikows niedergemähten Opfer in wohlgesetzten Worten verhöhnte und die Schuld für diese Bluttat am Ende wieder unserer Gesellschaft, dem Westen und der verdammten Meinungsfreiheit zugeschoben wurde, das hatte selbst für WDR-Verhältnisse eine neue Qualität.

Hier mal die sinngemäße, verkürzte Wiedergabe der Aussagen:

Anrufer:
Gewalttäter gibt es überall! Man sollte Meinungsfreiheit nicht überstrapazieren! Die Islamisten wurden zu Tätern gemacht! Die Täter wurden aufgehetzt von Anstiftern!

Funke:
Sehr differenzierter Beitrag!

Nächster Anrufer:
Diese jungen Leute (Attentäter) mit ins Boot nehmen! 300000 Flüchtlinge im nächsten Jahr willkommen heißen! Wir Deutsche haben den Weltkrieg verloren, aber die Ideologie Hitlers ist noch in unseren Köpfen, wir müssen uns ändern! Wir müssen allen Minderheiten helfen, auch den 800000 Pädophilen! Wir dürfen den muslimischen Gott nicht mehr zeichnen!

Funke:
Die Attentäter sind Teil einer „lost generation“ und hatten in Frankreich keine Chance, waren verzweifelt. Es hätte bis zur Tat Interventionschancen gegeben. Frankreichs koloniale Erbschaft ist schuld!

Nächste Anruferin:
Die Gewalttaten waren schrecklich, aber ich versuche die Attentäter zu verstehen!
Es sind Verärgerungen, die den Muslimen zugeführt werden!
Boko Haram in Nigeria ist Ausdruck der Verärgerung der Muslime!
Weil die Attentäter in Frankreich arbeitslos waren, das war unsere Schuld, dadurch kamen sie auf dumme Gedanken!

Funke:
Die Anruferin hat recht.

Wieder die Anruferin:
Wir müssen uns selber mäßigen und offener sein! Warum waren die anderen so?
Es ist im Grunde eine gegenseitige Eskalation, wir müssen uns mäßigen! Auch nach dem Attentat müssen wir uns mäßigen!

Nächster Anrufer:
Wir waren zu tolerant gegenüber den Zuwanderern und haben zu wenig Integrationsleistung abverlangt.

Funke:
Nein, im Grunde alles nicht so schlimm, es gibt auch Katholiken mit radikalen Ansichten, 99,9 Prozent der Muslime hierzulande verhalten sich rechtstreu, integriert und sind tolerant, Sie (der Anrufer) sind blauäugig.

Nächster Anrufer:
Der Anschlag war schlimm, aber die islamische Kultur ist sehr empfindlich, wir müssen klüger sein und nicht Öl ins Feuer gießen.
Wenn man sich freiwillig zurückhält, hat das nichts mit Einschränkung der Pressefreiheit zu tun.
Wer sich durch diese Karikaturen gedemütigt fühlt, der antwortet mit Gewalt.

Funke:
Ich will die Attentäter nicht rechtfertigen, aber ich teile Ihren formulierten Impuls im Wissen um die diplomatischen Notwendigkeiten, deshalb macht man so etwas wie die Zeichnungen nicht.

Nächste Anruferin:
Wir haben Schlimmes im Irak, in Afghanistan und in Algerien gemacht, der Anschlag ist nur die Reaktion darauf.

Funke:
Die Anruferin hat recht. Der IS-Chef (der Top-Terrorist, dessen Bandenmitglieder Zivilisten die Kehle durchschneiden- Ergänzung von mir) ist nur zu dem geworden, was er heute ist, durch George W. Bush. Am Tag nach dem Attentat ist die Pressefreiheit das Entscheidende, aber Kompromisse dürfen dabei nicht vergessen werden.

Also: Nach Ansicht Funkes und der Mehrzahl der Anrufer irgendwie schlimm von den zwölf Charlie Hebdo- Redakteuren, dass sie die beiden armen Brüder in solche Gewissenskonflikte gebracht haben und nun dafür nicht mal mehr zur Verantwortung gezogen werden können.

Und um auf die Diskussion in den anderen Threads bezüglich freier Medien oder deren einseitiger Berichterstattung zurückzukommen:
Das Gute an der Pressefreiheit ist, dass selbst solche im Grunde menschenverachtenden Unverschämtheiten geäußert werden können.
Ob sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk damit langfristig in puncto Glaubwürdigkeit und Neutralität etwas Gutes tut, steht auf einem anderen Blatt.