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Sinkende Reichweiten, immer weniger junge Zuschauer: RTL will älter werden, ProSieben nicht
geschrieben von: TV Wunschliste, 26.02.23 12:06
Das Fernsehen sieht sich derzeit mit gleich zwei unvermeidlichen Entwicklungen konfrontiert: 1. Junge Menschen schauen immer weniger linear fern und 2. Der demografische Wandel führt dazu, dass die Zahl älterer Menschen immer weiter zunimmt. Diese Prozesse werden sich in den kommenden Jahren und Jahrzehnten weiter fortsetzen und haben natürlich auch Auswirkungen auf den TV-Konsum. Während sich die Nutzung der Öffentlich-Rechtlichen konstant und stabil hält, sinken insbesondere die Reichweiten bei den großen Privatsendern in rasantem Tempo - weil junge Zuschauer fehlen, die stattdessen zu Streamingdiensten abwandern. Das führt bei den Sendergruppen zu unterschiedlichen Überlegungen, wie auf diese Entwicklung zu reagieren ist.

Die Erfindung der jungen Zielgruppe



In den 1990er Jahren war der damalige RTL-Geschäftsführer Helmut Thoma maßgeblich an der Einführung der sogenannten werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen beteiligt. Diese Altersklasse als potenzielle Käufer machte Thoma den Werbekunden besonders schmackhaft und rückte sie in den Fokus. Fortan wurde das RTL-Programm danach ausgerichtet, eben insbesondere jene junge Zielgruppe anzusprechen. Auch die übrigen deutschen Privatsender wie Sat.1 und ProSieben übernahmen mehr oder weniger gezwungenermaßen diese Zielvorgabe, um wettbewerbsfähig zu bleiben. 

In den vergangenen 30 Jahren haben sich die Medienlandschaft und das Konsumverhalten jedoch in damals nicht vorstellbarem Maße verändert. War Fernsehen für Jugendliche in den 90ern das Nonplusultra und der Nummer-1-Zeitvertreib, gilt lineares TV unter jungen Menschen heutzutage vorwiegend als Medium für "alte Leute". Die Mehrheit der Unter-30-Jährigen schaut vor allem noch zu besonderen Anlässen fern, wenn Live-Events wie die Fußball-WM, der Eurovision Song Contest oder das Dschungelcamp stattfinden. Ansonsten verbringen sie ihre Freizeit viel lieber bei Streamingdiensten, YouTube, Instagram, TikTok und Co. - es ist ja auch viel attraktiver, seinen Medienkonsum nicht mehr an eine bestimmte Zeitvorgabe knüpfen zu müssen, wie es das lineare Fernsehen älteren Generationen beigebracht hat.
"Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" - einer der wenigen Quotenhits bei Jung und Alt RTL/Stefan Thoyah


Unterm Strich heißt das: Die einst so maßgebliche Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen macht heutzutage von der Gesamtheit aller Konsumenten des linearen Fernsehens nur noch rund 22 Prozent aus. Wenn nicht gerade ein besonderes TV-Ereignis stattfindet, ist es mittlerweile die Regel, dass die meistgesehene Sendung des Tages in dieser Altersklasse gerade mal auf eine Reichweite von rund einer Million kommt - oftmals ist dies die 20-Uhr-"Tagesschau" oder der "Tatort". Die Werbebranche beobachtet die immer weiter sinkenden Zahlen der Zielgruppen-Reichweiten ebenfalls mit Argusaugen. Welchen Sinn hat es also noch, derart verbissen auf diese junge Zielgruppe zu schielen, die offenkundig immer weniger Lust auf Fernsehen hat?

RTL strebt Erweiterung der werberelevanten Zielgruppe an



Diese Frage stellt sich - natürlich auch aus Eigeninteresse - vor allem RTL. Die Sendergruppe wirft zum wiederholten Mal den Vorschlag in den Raum, die Zielgruppe allgemein auf die Bis-59-Jährigen zu erweitern. Dies würde nämlich den Anteil der Zielgruppe auf 45 Prozent der Gesamtheit der Zuschauer erhöhen, also mehr als verdoppeln. Anders gesagt: Die 50- bis 59-Jährigen machen beim TV-Konsum prozentual in etwa so viel aus wie die 14- bis 49-Jährigen. Naheliegend also, dass RTL mit Nachdruck künftig die 14- bis 59-Jährigen ins Zentrum der kommunizierten Quoten rücken möchte.

Es geht nicht darum, sich die Welt schönzurechnen, sondern die Realität bestmöglich abzubilden, stellte RTL-Programmgeschäftsführer Stephan Schmitter gegenüber DWDL klar. Wie ernst es ihm mit dem Vorhaben ist, zeigt sich auch daran, dass RTL mit dem Wechsel auf 14 bis 59 sogar seine Zielgruppen-Marktführerschaft an das ZDF abgeben müsste, während der Kölner Sender bei den 14- bis 49-Jährigen weiterhin vorne liegen würde. Um das wettzumachen, wolle man sich im linearen RTL-Programm auf das ältere Publikum konzentrieren und Inhalte für eine jüngere Zielgruppe vorrangig im Streamingportal RTL+ platzieren. Im Programm zeigt sich das schon jetzt: Kuppelshows wie "Ex on the Beach" werden linear bei RTL nicht mehr gezeigt, stattdessen sind neue Reihen wie "Sonderlage - Ein Hamburg-Krimi" und "Dünentod - Ein Nordsee-Krimi" zu sehen, mit denen man sich nicht nur namenstechnisch auf den Spuren von ARD-Krimis befindet, sondern auch deren Publikum abgreifen möchte. Die Rechnung ging bislang auf: "Sonderlage" erreichte bis zu 2,60 Millionen Zuschauer, "Dünentod" gar 3,52 Millionen - und zwar überwiegend Ältere. 
Mit "Dünentod - Ein Nordsee-Krimi" gelang RTL auf Anhieb ein Erfolg vor allem beim älteren Publikum. RTL/Stephan Rabold


Der RTL-Chef ist sich sicher, dass auch die Mitbewerber die schwindende Relevanz von 14-49 für das lineare TV auf dem Schirm haben. Und in der Tat: Auch andere Sender würden von einer Erweiterung der Zielgruppe profitieren, etwa Sat.1, wo die Serien aus dem "Navy CIS"-Franchise bei den 14- bis 49-Jährigen kaum noch punkten können. Ein Großteil der Zuschauer dieser US-Crime-Serien ist aber über 50 Jahre alt, insofern würde sich der Zielgruppen-Marktanteil bei einer Ausweitung auf die Bis-59-Jährigen erhöhen.

Seven.One hält nichts mehr von einer einheitlichen Zielgruppe



Dennoch zeigt sich die Seven.One-Gruppe desinteressiert an der Festlegung einer neuen, erweiterten Zielgruppe. Dies dürfte vor allem daran liegen, dass zwar das strauchelnde Sat.1 von der Inkludierung der 50- bis 59-Jährigen profitieren würde, der erfolgreichere Sender ProSieben jedoch das Nachsehen hätte. Die rote Sieben ist von den großen Privatsendern jener mit dem jüngsten Publikum - aber gleichzeitig auch ein Sender, dessen Programm ältere Menschen nur selten ansprechend finden. Entsprechend würde sich der Marktanteil beim Blick auf die erweiterte Zielgruppe der Bis-59-Jährigen für ProSieben negativ auswirken und die Zahlen würden sinken.

Wenig euphorisch gab sich daher Guido Modenbach, Geschäftsführer von Seven.One Media, im Gespräch mit DWDL und meinte: Eine einheitliche Zielgruppe ist schon längst überholt. Er führte aus, dass das Senderportfolio unterschiedliche Kernzielgruppen ansprechen würde - also ProSieben für Jüngere, Sat.1 für ältere und vorrangig weibliche Zuschauer, Kabel Eins für die "Mitte der Gesellschaft", sixx für Frauen und ProSieben Maxx für Männer. Diese stärkere Eingrenzung hat für die Sender natürlich den Vorteil, in der jeweiligen Relevanz-Zielgruppe Erfolge vermelden zu können. Kurz gesagt: Jeder kann irgendwo die Nummer 1 sein, wenn man sich im stark fragmentierten TV-Markt nur eine entsprechend spitze Kernzielgruppe definiert.
Joko & Klaas haben viele junge Fans, aber kaum älteres Publikum.ProSieben/Stefan Gregorowius


Modenbach erkennt als Tatsache an, dass insbesondere junge Menschen in der Breite immer weniger Zeit mit Fernsehen verbringen (im Schnitt schauen 14- bis 29-Jährige nur noch eine halbe Stunde am Tag linear fern). Entscheidender sei jedoch, dass diese junge Zielgruppe mit Leuchtturm-Formaten wie "Joko & Klaas gegen ProSieben" und "Germany's Next Topmodel" doch noch zu erreichen ist. Damit holt der Sender in der Tat regelmäßig den Sieg in der klassischen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen, der im Fall einer Erweiterung auf die Bis-59-Jährigen nicht mehr garantiert wäre. Durchaus logisch, dass es nicht im Sinne von ProSieben ist, auf diese Erfolgsmeldungen künftig verzichten zu müssen.

Abermillionen Zuschauer: Das perfide Spiel mit den Netto-Reichweiten



Dass die Seven.One-Gruppe dennoch mit Unmut die sinkenden Reichweiten seiner Sendungen beobachtet, lässt sich an einer unschönen Praxis erkennen, die die Sendergruppe seit rund drei Jahren anwendet. In Quoten-Pressemitteilungen von Sat.1 und ProSieben wird inzwischen regelmäßig nicht mehr die Durchschnittsreichweite angegeben, die seit Jahren eigentlich die offizielle "Währung" ist und darüber informiert, wie viele Menschen "im Schnitt" eine Sendung gesehen haben. Stattdessen vermelden die Sender der Seven.One-Gruppe viel lieber die sogenannte Netto-Reichweite - in diese Zahl werden alle Zuschauer miteingerechnet, die mindestens eine Minute der jeweiligen Sendung am Stück gesehen haben. Auf diese Weise kommen natürlich viel beeindruckendere Zahlen als in der Durchschnittsquote zustande.

So jubelte Sat.1 etwa über 4,03 Millionen Zuschauer als Netto-Reichweite für das Staffelfinale von "Das große Promibacken" am 15. Februar 2023, wohingegen die "echte" Durchschnittsreichweite nur deutlich weniger beeindruckende 1,59 Millionen betrug (was man unerwähnt ließ). Gleichermaßen teilte ProSieben Anfang Februar per Pressemitteilung mit: "5,9 Millionen Zuschauer:innen (Netto-Reichweite Z. ab 3 J.) sehen zu, wie Johannes B. Kerner in den unterschiedlichsten Spielen eine beachtliche Lernkurve an den Tag legt und 'Schlag den Star' nach zwölf Spielen mit einem Kick und 64:14 Punkten gewinnt." In Wahrheit haben aber eben nicht 5,9 Millionen Menschen die komplette Sendung gesehen, die Durchschnittsquote der fast fünfstündigen Show lag bei 1,4 Millionen Zuschauern.
Johannes B. Kerner gewann bei "Schlag den Star" gegen Moritz Bleibtreu. ProSieben/Steffen Z Wolff


Ein Laie, der diese Hintergründe nicht kennt, wird somit ein Stück weit in die Irre geführt, wenn er von diesen Erfolgszahlen liest, die ProSieben und Sat.1 auch über Twitter verbreiten. Auch dies ist letztendlich eine Reaktion auf den fortschreitenden Reichweitenschwund insbesondere im linearen Privatfernsehen. Mitbewerber wie YouTube oder kostenpflichtige Streamingdienste funktionieren ebenfalls, vereinfacht gesagt, nach dem Modell: Jeder Klick zählt, auch wenn nur wenige Sekunden oder Minuten des jeweiligen Videos konsumiert wurden - wodurch beeindrucke Abrufzahlen in Millionenhöhe entstehen. Da diese Praxis von den linearen Sendern aber bislang ausschließlich jene der Seven.One-Gruppe anwenden, während RTL und die Öffentlich-Rechtlichen brav bei der offiziellen Durchschnittsquote bleiben, wird auch hier die Vergleichbarkeit erschwert.

All das sind Symptome für die fortschreitende Nervosität und Unsicherheit in der TV-Branche. Die Privatsender loten unterschiedliche Möglichkeiten aus, um in der Quoten-Berichterstattung trotz des Abwanderns der jungen Zielgruppe und der sinkenden Reichweiten weiterhin gut dazustehen. Auf lange Sicht wird jedoch kein Weg daran vorbeiführen, sich wieder auf eine gemeinsame Währung zu einigen, um überhaupt vergleichbar zu bleiben. Denn wenn jeder sein eigenes Süppchen kocht, sitzt man irgendwann allein am Tisch.

26.02.2023 - Glenn Riedmeier/TV Wunschliste
Bild: RTL/ProSieben


[www.wunschliste.de]

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  Sinkende Reichweiten, immer weniger junge Zuschauer: RTL will älter werden, ProSieben nicht
TV Wunschliste 26.02.23 12:06 1746 
  Re: Sinkende Reichweiten, immer weniger junge Zuschauer: RTL will älter werden, ProSieben nicht
tomgilles 27.02.23 04:39 1738 
  Re: Sinkende Reichweiten, immer weniger junge Zuschauer: RTL will älter werden, ProSieben nicht
AndreasX 27.02.23 11:18 164 


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