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Kommentar: Dirty Harry geht, die Wanderhure bleibt
Sat.1 geht weiter den Bach runter. Seit langem kommt der Sender nicht mehr aus den Negativschlagzeilen raus. Das Programm ist uninspriert, die Zuschauer gehen flöten, die Champions League ist futsch. Nun bekommt auch noch Harald Schmidt einen Tritt in den Hintern. Ein Sender demontiert sich selbst. Auffallend oft waren in der "Harald Schmidt Show" zuletzt sogenannte Sat.1-Gesichter zu Gast, um ihre neuen FilmFilm-Filmchen anzupreisen. Eine Maßnahme, um die Senderspitze milde zu stimmen? Vergeblich. Vielleicht war die Show von Beginn an chancenlos, denn in ein halbwegs passendes Programmumfeld wurde sie nie eingebettet. Stattdessen gab es vor und nach Schmidt meistens den üblichen TV-Sondermüll zu sehen. Als hätten die Programmmacher nie den Begriff audience flow erfunden. Der ungeduldige Sender zog die Reißleine nun ausgerechnet in einer Situation, in der sich die Show nach einem etwas holprigen Start inhaltlich und konzeptionell stark verbessert gezeigt hat. Der alte Schwung war wieder da, und mit seinen wechselnden Sidekicks wie Olli Dittrich und Jan Böhmermann harmonisierte Schmidt prächtig. Der Meister hatte sich eingegroovt. Um weiterhin tolle Wirtschaftsbilanzen verkünden zu können, mag die Trennung von Schmidt auf den ersten Blick nachvollziehbar sein. Die TV-Branche lebt ja ohnehin davon, nur noch von Tag zu Tag zu denken. Es bleibt aber die Frage, wie Sat.1 eigentlich Imagepflege betrieben will, wenn man sich nicht einmal mehr für drei Stunden pro Woche einen Imageträger leisten mag. RTL hat Günther Jauch, Sat.1 hatte immerhin Schmidt. Jetzt hat Sat.1 nur noch die Wanderhure. Den Ruf des freundlichen Familiensenders hat Sat.1 ohnehin längst verzockt. Gemessen am Status des zweitgrößten Privatsenders des Landes wartet man mit einem erschreckend uninspirierten Programm auf: Immer mehr Wiederholungen im Abendprogramm, immer mehr Scripted Reality im Tagesprogramm, dazu fragwürdige Formate wie "Schwer verliebt", mit denen man offenbar die Konkurrenz in Sachen Trash übertrumpfen will. Die freigewordene Sendezeit ab Herbst wird Sat.1 wieder mal spielend überbrücken. Zum Beispiel mit noch mehr Wiederholungen von Messie-Reportagen. Im Stopfen von Programmlücken ist man ja geübt. Donnerstags etwa benötigt der Sender inzwischen gleich drei "Criminal Minds"-Episdoen hintereinander, um sich über Wasser zu halten. Der Rest der Woche wird überwiegend mit seichter Komödienkost und mittelprächtigen Familienshows gefüllt. Abgesehen von einer neuen "Pastewka"-Staffel alle zwei Jahre sind wirkliche Programmhighlights rar gesät. Womit also will sich Sat.1 künftig profilieren? Kann "Die Wanderhure" den Sender retten? Wird die 1000. Jubiläums-Wiederholung der "Dreisten Drei" für ungeahnte Rekordquoten sorgen? Zugegeben, als wohl letzter Verfechter eines intellektuellen TV-Humors wirkte Harald Schmidt im Privatfernsehen wie ein Fremdkörper. Was wird nun aus ihm werden? Und vor allem: was wird aus der mutmaßlichen Minderheit der Zuschauer werden, die im Angesicht von Mario Barth und Daniela Katzenberger gern ein Recht auf geistreicheren TV-Humor einklagen würden? Der wohl einzige Rettungsanker für Schmidt und sein Stammpublikum wäre das ZDF, das sich im Comedy-Bereich gerade auf einem sehr guten Weg befindet. Es bleibt die vage Hoffnung, dass die Mainzer hier neben einer gewissen Verantwortung als öffentlich-rechtlicher Sender vielleicht auch eine Chance erkennen. Der Traum von einer täglichen Schmidt-Show auf zdf_neo etwa, mag insbesondere in finanzieller Hinsicht auf den ersten Blick unrealistisch erscheinen. Er würde den jungen Digitalsender aber gewaltig pushen und Schmidt umfassende kreative Freiheiten gewähren, die vielleicht mehr wert sind als ein hoher Gehaltscheck von Sat.1, der ein gewisses Schmerzensgeld beinhaltet. 28.03.2012 - Michael Brandes/wunschliste.de Bild: Sat.1/Bernd Jaworek [www.wunschliste.de] In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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