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Re: Zeitreise ins Jahr 1985 / Mobbing in der Schule in den 90ern
Wikki schrieb:
------------------------------------------------------- > Was mir in einem deiner anderen Beiträge > aufgefallen ist, dass du schriebst, dass du > irgendwie heute das Mobbing auf eine gewisse Weise > nachvollziehen kannst. Das sehe ich anders - > niemand wird gezwungen, andere zu mobben und es > lädt auch niemand zum Mobbing ein. Ich habe es damals als Gemobbter selbst auch so gesehen. Aber ich steckte zu diesem Zeitpunkt noch zu sehr in meiner eigenen Rolle, war also befangen und aufgrund der fehlenden Lebenserfahrung nicht dazu in der Lage, die Perspektive der Mobbenden nachzuvollziehen. Heute kann ich mir besser vorstellen, was in ihnen vorging und glaube auch, dass einige von ihnen tatsächlich selbst nicht dazu in der Lage waren, sich in meine Situation hineinzuversetzen. Sie zogen aufgrund meines eher folgsamen Verhaltens sowie meiner Mimik (die bei Asperger-Autisten i.d.R. eingeschränkt ist) falsche Schlussfolgerungen zu meinem Charakter. Wahrscheinlich war es schon der erste Eindruck, der ausschlaggebend war. Nicht-Autisten kennen das sicher, dass man von Personen, denen man zum ersten Mal persönlich begegnet, sofort so etwas wie einen ersten Eindruck hat. Das ist ein ganz unbewusster, emotionsgeleiteter Prozess, den man selbst wohl kaum kontrollieren kann. (In diesem Punkt unterscheide ich mich übrigens nach der aktuellen Lehrmeinung von Menschen ohne Autismus. Bei meiner Asperger-Diagnostik wurde mir nämlich gesagt, dass solche unbewussten, quasi automatischen Prozesse bei mir nicht bzw. nur sehr reduziert stattfinden würden, ich dieses Defizit aber durch Analytik ausgleichen könne, was allerdings mehr Zeit und Kopfarbeit in Anspruch nehme. Tatsächlich fällt es mir selbst sehr schwer, so etwas wie einen ersten Eindruck zu formulieren, wenn sich eine Person, die ich bislang nicht kannte, danach erkundigt.) Zurück zu den Vorurteilen der mobbenden Schüler meiner Klasse: Kaum war dieses Fremdbild mit den falschen Schlussfolgerungen einmal entworfen, wurde alles, was ich sagte und tat, von ihnen so interpretiert, dass es in dieses Bild passte. Selbst wenn andere Lehrer/innen oder Schüler/innen, die auf meiner Seite waren (denn die gab es ja zum Glück auch) mit ihnen redeten und versuchten, sie dazu zu bewegen, ihre Auffassung kritisch zu hinterfragen, blieben sie bei ihrer Meinung, dass ich es nicht anders verdient hätte. In deren Augen war ich wohl einfach ein "schlechter" Mensch, dem es in der Schule nur um gute Zensuren ging und damit im späteren Leben wohl nur um Macht und Geld gehen würde. Vielleicht sahen sie irgendwann ihren Fehler insgeheim sogar ein, wollten diesen aber nicht zugeben. Das wäre dann aus ihrer Sicht ein Zeichen von Schwäche gewesen. Verstärkt wurde das Mobben sicherlich auch durch die Cliquenbildung. Innerhalb der eigenen Clique wollte man natürlich "in" sein. Und wenn der Meinungsführer in einer Clique eine bestimmte Person mobbt, schließen sich die anderen sehr schnell an, da sie Angst haben, selbst ins Abseits zu geraten. Wenn ich es unter diesen Gesichtspunkten sehe, dann bin ich heute überzeugt davon, dass die Schüler, die es damals nötig hatten, mich zu mobben, auch keine so tolle Schulzeit hatten. Es war für sie eine echte emotionale Herausforderung, einen Menschen wie mich kennenzulernen. Sie kamen mit mir einfach nicht klar, weil ich nicht in das Weltbild passte, das ihnen von ihrem sozialen Umfeld vermittelt worden war, bevor sie mich kennenlernten. Ich kann also heute nachvollziehen bzw. verstehen, was passiert ist und kann das Mobbing auch heute verzeihen, obwohl mein Selbstbewusstsein noch sehr lange unter dieser Erfahrung gelitten hat. Aber ohne diese Erfahrung selbst gemacht und für mich analysiert zu haben, könnte ich viele Missverständnisse, die heutzutage in der zwischenmenschlichen Kommunikation (übrigens auch zwischen Nicht-Autisten) stattfinden, nicht verstehen. > Traurig finde ich auch, dass in manchen > Konstellationen Mobber als normal und die > Gemobbten als unnormal betrachtet werden (wenn z. > B. jemand anders aussieht, ungewöhnliche > Interessen hat usw). Und das ist falsch. Unnormal > sind die, die mobben, die nicht begreifen, dass, > nur als Beispiel, ihr Klassenkamerad schwul ist, > was ihnen egal zu sein hat. Und hier ist eben die Frage: Wie bringt man es denen, die aus Überzeugung mobben, am besten bei, dass das, was sie tun, "unnormal" bzw. nicht gerechtfertigt ist? Sanktionen helfen da sicher nur bedingt. Das Mobbing hört dann zwar für eine Weile auf, aber sie fühlen sich ja nach wie vor im Recht und fangen irgendwann wieder damit an. Erst wenn ein/e überzeugte/e Mobber/in kapiert hat, dass er/sie im Unrecht ist und Schuldbewusstsein entwickelt; erst dann wurde das Mobbing wirklich erfolgreich bekämpft. 1-mal bearbeitet. Zuletzt am 27.04.23 22:04. In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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