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Re: Ukraine
Vielen Dank, tomgilles!
Das hast Du auch fuer eine Nicht-Europaerin wie mich, die die europaeische Politik seit 2002 fast gar nicht mehr mitbekommt, wunderbar erklaert. Gruss, Chrissie tomgilles schrieb: ------------------------------------------------------- > Das ist ja das Problem. Nach dem Zusammenbruch der > Sowjetunion wurden Staatsbetriebe und > Volkseigentum für ein Schnäppchen an > Funktionäre und ihre Freundeskreise verscherbelt, > in der Hoffnung mithilfe des erwarteten > Kapitalzuflusses aus dem Westen aus maroden > Industrieruinen moderne, konkurrenzfähige > Unternehmen zu machen. > > Der Umstand, dass auf diesem Wege auch > umfangreiche Schürf- und Förderrechte für wenig > Geld an gut vernetzte Glücksritter vergeben > wurden, legte den Grundstein für den sagenhaften > Reichtum der Oligarchen im Rohstoff- und > Stahlsektor. Durch Betriebsschließungen im Rahmen > der Restrukturierung erfolgten Massenentlassungen > und im Zuge der Abwicklung der zwar ineffizienten > aber funktionsfähigen sowjetischen Institutionen > brach die zentralistisch organisierte Logistik > zusammen, sodass es zu extremen > Versorgungengpässen kam, die lange anhielten. > > Somit verbinden die Russen, die damals keine > demokratische Tradition hatten, mit den 90er > Jahren überwiegend schlechte Erinnerungen. Hinzu > kamen ein alkoholkranker Präsident, der mit dem > Westen flirtete und seinen "Raubtierkapitalisten" > freie Hand ließ sowie ein Heer von Bedürftigen, > deren soziale Sicherheit auf dem Spiel stand, > während die Kriminalität blühte. > > Erst nach der Amtsübernahme durch Putin konnte > der Staat wieder einigermaßen konsolidiert werden > - die Sozialversicherung wurde reformiert, die > kartellartigen Holdings der Oligarchen unter > Staatsaufsicht gestellt und ein schlagkräftiger > Sicherheitsapparat aufgebaut. Alles verlief wieder > halbwegs in geordneten Bahnen, Russlands Sehnsucht > nach einer starken Führung, die konsequent > durchgreift, erfüllte sich. Vladimir Putin passte > ganz gut in die Ahnengalerie der starken Männer > vor Gorbatschow. > > Zwar brach in Russland nie der Wohlstand aus, aber > die Rentner erhielten verlässlich ihre > Überweisungen und Angestellte durften sich über > stetige, wenn auch bescheidene Gehaltssteigerungen > freuen. Die öffentliche Ordnung wurde wieder > hergestellt, der Westen investierte und schuf > viele Arbeitsplätze. Dass sich im Hintergrund ein > Spinnennetz aus Günstlingswirtschaft, Ausbeutung > und Bereicherung ausgebreitet hatte, in dessen > Mittelpunkt Putin selbst steht und das den Staat > skrupellos seiner Einnahmen beraubte, nahm man > hin. > > Erst nachdem diese Auswüchse überhand nahmen und > die rohstoffgetriebene Wirtschaft ins Stottern > kam, wuchs die Unzufriedenheit. Schon Mitte der > 2010er-Jahre kam der Staat in > Zahlungsschwierigkeiten weil die Handelsbilanz > äußerst unausgeglichen war und seit je her ein > Großteil der Öl- und Gaseinnahmen in den dunklen > Kanälen des Kreml-Beziehungsgeflechts > verschwindet. Auf Rentenkürzungen und > Steuererhöhungen folgten viele große > Protestkundgebungen, die Popularität Putins > schwand erosionsartig. > > Die Sozialen Netzwerke des Internetzeitalters > brachten eine regelrechte "Demonstrationskultur" > hervor, die Staat und Regierung in Habachtstellung > versetzte. Von nun an gingen die > Sicherheitsdienste auf Geheiß des Kreml immer > härter gegen Aktivisten vor, internationale > Organisationen und Menschenrechtsgruppen, die > internationale Gelder annahmen, wurden > stigmatisiert, indem sie sich selbst als > "ausländische Agenten" deklarieren mussten. Die > Internetzensur wurde immer mehr verschärft, der > Weg in die Diktatur begann. > > Seit Putins Ansehensverlust werden auch die Wahlen > massiv manipuliert. Die Duma-Wahlen von 2021 waren > eine reine Farce, zumal die vom Kreml eingeführte > Onlineabstimmung unter Verwendung von > Phantasiezahlen offenbar gezielt als Mittel der > Wahlfälschung gedacht war. Seit dem > Maidan-Umsturz in der Ukraine betätigt sich Putin > wo er kann als Schutzengel von Tyrannen und > Despoten, sei es Lukaschenko, Maduro oder Assad, > für dessen Überleben er sogar in den Krieg zog. > Seit den russischen Massenprotesten hat er sein > eigenes Ende vor Augen und agiert zunehmend > totalitär und gwalttätig. In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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