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Re: Ukraine
Das ist ja das Problem. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wurden Staatsbetriebe und Volkseigentum für ein Schnäppchen an Funktionäre und ihre Freundeskreise verscherbelt, in der Hoffnung mithilfe des erwarteten Kapitalzuflusses aus dem Westen aus maroden Industrieruinen moderne, konkurrenzfähige Unternehmen zu machen.
Der Umstand, dass auf diesem Wege auch umfangreiche Schürf- und Förderrechte für wenig Geld an gut vernetzte Glücksritter vergeben wurden, legte den Grundstein für den sagenhaften Reichtum der Oligarchen im Rohstoff- und Stahlsektor. Durch Betriebsschließungen im Rahmen der Restrukturierung erfolgten Massenentlassungen und im Zuge der Abwicklung der zwar ineffizienten aber funktionsfähigen sowjetischen Institutionen brach die zentralistisch organisierte Logistik zusammen, sodass es zu extremen Versorgungengpässen kam, die lange anhielten. Somit verbinden die Russen, die damals keine demokratische Tradition hatten, mit den 90er Jahren überwiegend schlechte Erinnerungen. Hinzu kamen ein alkoholkranker Präsident, der mit dem Westen flirtete und seinen "Raubtierkapitalisten" freie Hand ließ sowie ein Heer von Bedürftigen, deren soziale Sicherheit auf dem Spiel stand, während die Kriminalität blühte. Erst nach der Amtsübernahme durch Putin konnte der Staat wieder einigermaßen konsolidiert werden - die Sozialversicherung wurde reformiert, die kartellartigen Holdings der Oligarchen unter Staatsaufsicht gestellt und ein schlagkräftiger Sicherheitsapparat aufgebaut. Alles verlief wieder halbwegs in geordneten Bahnen, Russlands Sehnsucht nach einer starken Führung, die konsequent durchgreift, erfüllte sich. Vladimir Putin passte ganz gut in die Ahnengalerie der starken Männer vor Gorbatschow. Zwar brach in Russland nie der Wohlstand aus, aber die Rentner erhielten verlässlich ihre Überweisungen und Angestellte durften sich über stetige, wenn auch bescheidene Gehaltssteigerungen freuen. Die öffentliche Ordnung wurde wieder hergestellt, der Westen investierte und schuf viele Arbeitsplätze. Dass sich im Hintergrund ein Spinnennetz aus Günstlingswirtschaft, Ausbeutung und Bereicherung ausgebreitet hatte, in dessen Mittelpunkt Putin selbst steht und das den Staat skrupellos seiner Einnahmen beraubte, nahm man hin. Erst nachdem diese Auswüchse überhand nahmen und die rohstoffgetriebene Wirtschaft ins Stottern kam, wuchs die Unzufriedenheit. Schon Mitte der 2010er-Jahre kam der Staat in Zahlungsschwierigkeiten weil die Handelsbilanz äußerst unausgeglichen war und seit je her ein Großteil der Öl- und Gaseinnahmen in den dunklen Kanälen des Kreml-Beziehungsgeflechts verschwindet. Auf Rentenkürzungen und Steuererhöhungen folgten viele große Protestkundgebungen, die Popularität Putins schwand erosionsartig. Die Sozialen Netzwerke des Internetzeitalters brachten eine regelrechte "Demonstrationskultur" hervor, die Staat und Regierung in Habachtstellung versetzte. Von nun an gingen die Sicherheitsdienste auf Geheiß des Kreml immer härter gegen Aktivisten vor, internationale Organisationen und Menschenrechtsgruppen, die internationale Gelder annahmen, wurden stigmatisiert, indem sie sich selbst als "ausländische Agenten" deklarieren mussten. Die Internetzensur wurde immer mehr verschärft, der Weg in die Diktatur begann. Seit Putins Ansehensverlust werden auch die Wahlen massiv manipuliert. Die Duma-Wahlen von 2021 waren eine reine Farce, zumal die vom Kreml eingeführte Onlineabstimmung unter Verwendung von Phantasiezahlen offenbar gezielt als Mittel der Wahlfälschung gedacht war. Seit dem Maidan-Umsturz in der Ukraine betätigt sich Putin wo er kann als Schutzengel von Tyrannen und Despoten, sei es Lukaschenko, Maduro oder Assad, für dessen Überleben er sogar in den Krieg zog. Seit den russischen Massenprotesten hat er sein eigenes Ende vor Augen und agiert zunehmend totalitär und gwalttätig. 1-mal bearbeitet. Zuletzt am 08.04.22 22:45. In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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