BUG. schrieb:
-------------------------------------------------------
> Richtig. Sprache entwickelt sich. Und zwar
> geschieht das dadurch daß die Sprachgemeinschaft
> ihre Sprache alltäglich gebraucht und hier und da
> Einflüsse integriert. Besonders gut zu erkennen
> ist das an der Jugendsprache und an der Nutzung
> von Anglizismen. Beides zeigt immer wieder eine
> Tendenz zur sprachlichen Vereinfachung auf, was
> einer gewöhnlichen Sprachentwicklung entspricht.
>
>
> Nur ist es bei dem ganzen Genderkram dummerweise
> genau andersherum: Das ist knallharte
> Sprachpolitik mit der Brechstange, von oben herab
> und mit latent belehrend-moralisierendem Habitus.
> Statt der Vereinfachung wird das Alltagswerkzeug
> Sprache aufgebläht und mit einer Bedeutung
> befrachtet, die es überhaupt nicht hat. Wer das
> fragwürdige Spiel nicht mitmachen will, gilt der
> Szene mindestens als rückständig, wenn nicht gar
> als sexistisch oder von Grund auf verachtenswert.
> Eine solche Form der Sprachpolitik hat es in
> unserer Geschichte nicht nur einmal gegeben. Mit
> einer "Sprachentwicklung", wie sie dem Normalfall
> entspricht, hat das rein gar nichts zu tun.
Außer Empörung nicht viel drin.
1. Die Bedeutung von Sprache wurde schon lange vor den Gender Studies betont, z.B. in Sprachphilosophie, Sprachpsychologie und Linguistik generell. Dass z.B. verbale Gewalt auch verletzen kann ist lange bekannt. Da Gender Studies herauszugreifen und (nur) ihnen Aufblähung vorzuwerfen wirkt politisch motiviert.
2. "Sprachpolitik" gab es immer schon. Wenn man möchte kann man bei Luther anfangen: Dass sich mit Hochdeutsch Luthers Heimatdialekt zur Grundlage der heutigen Standardsprache entwickelte ist nicht "aus dem Volk heraus gewachsen", sondern lag an der Verbreitung seiner Bibelübersetzung. Noch deutlicher wird es im Kaiserreich: Auf den "Orthografischen Konferenzen" wurde hier eine einheitliche deutsche Rechtschreibung "von oben durchgedrückt" um dem politischen Ideal eines einheitlichen deutschen Nationalstaats auch sprachlich zu huldigen. Und noch heute wird die deutsche Rechtschreibung von den Kultusministerkonferenzen - also "von oben" festgelegt, was ja auch immer wieder für Kontroversen sorgte. Vor zwanzig Jahren haben sich alle darüber aufgeregt, dass ihnen jetzt "von oben diktiert" würde, dass man z.B. "Nuss" nicht mehr mit "ß" schreibt. Heute ist es halt das Gendern. Wobei das noch nicht mal von irgendwelchen staatlichen Gremien verbindlich festgelegt wurde. Aber wenn sich einige Parteien oder Nachrichtenredaktionen dazu entscheiden es zu verwenden, wird hier gleich über "Sprachpolitik von oben" geschimpft. Das ist also erstens falsch und zweitens, selbst wenn es richtig wäre, für sich nichts Außergewöhnliches, sondern teil einer jahrhundertealten deutschen Tradition.
3. Die Dichotomie "von unten gewachsen = gut" versus "von oben festgelegt = schlecht" ist völlig unsinnig. Ich persönlich finde diverse Anglizismen und andere "von unten gewachsene" Sprachentwicklungen furchtbar; manche amtlichen Festlegungen hingegen sehr sinnvoll. Das Argument "Das Gendern ist schlecht, weil es von oben festgelegt wurde" ist also nicht nur falsch, sondern auch gar kein Argument, weil nicht bewiesen ist, dass "Festlegungen von oben" grundsätzlich schlecht seien.
4. Einen "latent belehrend-moralisierendem Habitus" kann man jedem vorwerfen, der jemanden von einer Meinung überzeugen will. So willst du uns hier damit belehren wie schlecht und unmoralisch das Gendern doch sei. Von oben herab sprichst du auch, da alle die deine Meinung nicht teilen deiner Meinung nach offenbar wahlweise dumm oder böse sind. Dies ist also auch kein Argument.
5. Wie ich bereits geschrieben habe, halte ich es sehr lax mit dem Gendern. Bisher wurde ich dafür weder "verachtet" noch "als rückständig" angesehen. Allerdings bin ich auch nicht unmittelbar "in der Szene" aktiv. Dass man aber in bestimmten Szenen so wahrgenommen wird, wenn man nicht deren Ansichten teilt ist nicht ungewöhlich. Laut den Querdenkern bin ich ein "Schlafschaf", laut den Libertären ein "Gutmensch" und laut den Reichsbürgern ein "Systemling". Wenn ich jetzt in der Gender-Studies-Szene auch noch als "Rückständler" angesehen werde, juckt mich das wenig. Ich lege es nicht darauf an, von diesen Gruppen gelobt zu werden. Eher im Gegenteil.
Dein interessantestes Argument war bisher das bezüglich Genus uns Sexus, was ich insoweit nochvollziehbar finde, als das beides ja z.B. bei "das Mädchen" auch nicht übereinstimmt. Trotzdem hätte mich deine Meinung zu meinem Einwand interessiert. Leider bist du dir dafür ja zu fein...