Tag für Tag, so klagen die Fernsehkritiker, ergießt sich trübe, "volkstümelnde Allzweck-Unterhaltungsbrühe" über die "apathischen Elektronen-Opfer". Von allen Seiten, stöhnt das "Hamburger Abendblatt", "brachen Serienstars und Leinwandschurken über uns herein".

Im 7-Tage-Rennen um die höchsten Einschaltquoten gehen ARD und ZDF nun mit Vollgas in die letzte Kurve - runter mit dem Niveau. Totales Entertainment heißt, vor allem bei der ARD, die Devise. Flaue Shows, Plotten und Klamotten verstopfen die Kanäle; der Vormarsch der Konfektionsserie im Abendprogramm ist nicht mehr zu stoppen.

Die ARD dümpelt auf dem Rheinkahn "MS Franziska", sie strapaziert Kojak und "Superstar", ödet mit dem "Sheriff in New York" und dem Kölner Deppen "Mein lieber Mann" und läßt Fritz Eckhardt "Meine Mieter sind die besten" klamauken. Das ZDF bietet den "Marshal von Cimarron", den "Alten", "Derrick" und den exhumierten "Kommissar", die ausgetretenen "Straßen von San Francisco", die "Bankiers" und die Prügelknaben "Starsky & Hutch".

Die dritten Programme locken abends mit den US-Serials "Dan Oakland" und "Unmöglicher Auftrag". Bayern III, das "wie ein Amateur-Freudenmädchen auf den Unterhaltungsstrich drängt" ("Abendzeitung"), sendet ohnehin kaum anderes als Kintopp. Nord III wiederholt sogar Biedermeierliches aus dem Repertoire der ZDF-Konkurrenz: "Anneliese Rothenberger stellt vor".

Das Wirtschaftsmagazin "Plusminus" schrumpfte von 45 auf 30 Minuten, die Berliner "Kontraste", früher stets eine dreiviertel Stunde auf Sendung, müssen sich an sechs Terminen mit 30 Minuten begnügen. Die Zahl der politischen Features und Dokumentationen, die gestrichen werden, kennt in der ARD noch niemand genau.

Die Spaßvögel an der Macht, der Bildschirm ein Amüsier- und Animierbetrieb - wohin ist es mit dem deutschen Fernsehen gekommen. Früher, in den 50er und frühen 60er Jahren, war es das Medium der höheren Töchter und reifen Bildungsbürger, immer bedacht auf Kunst, Kultur und Erziehung des Menschengeschlechts. Da gab es zum Beispiel in einer Woche dreimal Theater: Brechts "Galilei", Eliots "Verdienter Staatsmann", Wilders "Wir sind noch einmal davongekommen". Geistige Würdenträger führten "ein Gespräch um kulturelle Fragen", gravitätische Herren deklamierten "Deutsche Dichtung".

Nach 1963, als das ZDF an den Start ging und dem Ersten Programm mit Massen-Shows wie "Der Goldene Schuß" Konkurrenz machte, legten auch die ARD-Schulmeister den steifen Kragen ab. Nun war der Unterhaltungsbann gebrochen, Spielfilme und US-Krimis verdrängten Theater und Kulturgespräch. Den Bildungsauftrag erfüllten die Dritten Programme.

"Da wird geschlagen, getreten, vergewaltigt und gestorben", klagt die "Süddeutsche Zeitung", eine "Parade von Gemeinheit und Grausamkeit". Im kalifornischen Polizei-Thriller "Starsky & Hutch", in den USA als eine der "zwölf schmutzigsten Serien" verpönt, hieven die Titelhelden schon mal Ganoven mit dem Kran hoch, um sie dann aufs Pflaster zu werfen. Die Mainzer garnieren das, Spaß muß sein, mit mehr oder weniger schlecht synchronisierten Scherzen.

"Perfideste Brutalitäten" entdeckten die Kritiker auch in den neuen ARD-Folgen des Serials "Mit Schirm, Charme und Melone".

Der ARD-Programmbeirat hat das Problem offenbar erkannt und die Anstalts-Entertainer dringend ersucht, in der Unterhaltung "mit neuen Formen zu experimentieren und auch Risiken nicht zu scheuen".

Wie man Show-Puppen witzig tanzen läßt, zeigt ein Britischer Export, die "Muppets-Show". Doch diese Superserie versteckt das ZDF in der Kinderstunde, im Nachmittagsprogramm. Die Großen mussen darben.

Quelle: Der Spiegel, 30. Januar 1978