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Beat Club und Musikladen
Leider existiert die Website tv-nostalgie nicht mehr.
Deshalb hier ein Artikel daraus über die beiden berühmten Musiksendungen von Radio Bremen: Am 25. September 1965 kündigte der spätere Tagesschausprecher Wilhelm Wieben den ersten "Beat Club" an mit den Worten: "Guten Tag, liebe Beat-Freunde! Nun ist es endlich soweit. In wenigen Sekunden beginnt die erste Show im Deutschen Fernsehen, die nur für Euch gemacht ist. Sie aber, meine Damen und Herren, die Sie Beatmusik nicht mögen, bitten wir um Ihr Verständnis: Es ist eine Live-Sendung mit jungen Leuten für junge Leute!". Er ahnte sicher nicht, dass diese Ansage noch nach über 40 Jahren immer wieder hervorgekramt werden würde. Noch viel ahnungsloser als Wilhelm Wieben war ich zum damaligen Zeitpunkt. 1965 schwärmte ich als Siebenjähriger für Kater Mikesch, Lassie und Huckleberry Hound. Ich kannte ein paar Kinderlieder, etwas später Schlagersänger à la Heintje, Heino oder Ricky Shayne. Langhaarige Musiker waren alles ganz furchtbare "Bietels". "Ich werde nie lange Haare haben, niemals!" tönte ich mit etwa 9, 10 Jahren im Brustton der Überzeugung. Meine Eltern glaubten mir nicht … und sollten recht behalten! Um 1970 herum, mit 12 Jahren, änderte sich für mich alles. Schlagermusik wie in der "Hitparade" wurde für mich Sinnbild des Unerträglichen! Hatte ich noch ein Jahr zuvor Rex Gildo mit "Dondolo" die Daumen gedrückt, lehnte ich diese "Fuzzis" jetzt rundherum alle ab – "Verlogen!" Davon wollte ich nichts mehr wissen! Die Haare wurden lang und länger, in der Schule wurde aus dem Musterschüler ein Flegel, der den Lehrer anbrüllte. Das Spielzeug wurde aus dem Zimmer verbannt und weggeschmissen, der Schallplattenbestand komplett ausgewechselt. Creedence Clearwater Revival war die erste Rockband, von der ich mir Singles kaufte. Die erste LP hieß "Fireball" von Deep Purple. Damit wurde ich "marktfähig" in der Schule beim gegenseitigen Plattenausleihen zum Aufnehmen auf Kassettenrecorder oder Tonband (Telefunken in meinem Fall). Schnell lernte ich Led Zeppelin, Black Sabbath, Uriah Heep, Golden Earring, Birth Control, UFO, Pink Floyd, Jethro Tull, Beatles und Stones kennen. Auch die Oldies aus den 50ern kamen gut: Bill Haley, Chuck Berry, Little Richard und natürlich Elvis. Im Radio gab es bei uns auf NDR 2 "Die Internationale Hitparade" und den "Club". Oft habe ich mit dem Mikrofon vorm Radiogerät gehockt, ständig zitternd, dass keiner beim neuesten Supersong gerade ins Zimmer reinstolpert. Von dieser Musik wollten die Erwachsenen nichts wissen – und das war gut so! Die 68er Revolte hallte Anfang der 70er noch kräftig nach, und die Musik war wie die langen Haare das Bindemittel, das Erkennungszeichen! In der Glotze lief an Musikalischem immer noch die "Hitparade" mit dem unsäglichen Heck, dann viel an Oper und Operette ("Anneliese Rothenberger gibt sich die Ehre"), dazu der langweilige "Blaue Bock" ("Ich begrüße aufs Herzlichste Herrn Kammersänger …"). In den Abendshows wie "Drei mal Neun" mit Wim Thoelke auch das übliche Schlager-Einerlei, wenn auch internationaler zugeschnitten – alles nicht mehr meine Welt! Wenn samstags mal nicht die "Hitparade" nervte, kam dafür "disco" mit Ilja Richter. Hier traten neben den Tralala-Sängern auch mal Bands auf, die mich interessierten: Alice Cooper, T.Rex, Sweet, Slade, Deep Purple, später auch Bob Dylan und Cat Stevens. Aber die alberne Moderation verdarb vieles. Hinter dieser Musik stand eine Protesthaltung – davon war in "disco" dank Ilja Richter aber nichts zu spüren. Doch irgendwann entdeckte ich Sonnabend nachmittags den "Beat Club"! Mit einer Moderatorin Uschi Nerke, die hinter dieser Rockmusik stand, die sie präsentierte. Dass die Sendung von Radio Bremen schon seit ein paar Jahren lief, merkte ich erst später. Hier kam der rebellische Charakter rüber, hier gab es keine Albernheiten, keine Schlagerfuzzis mit Herzschmerztralalaliedern. Ansonsten fand Rockmusik in Reinkultur damals im Fernsehen praktisch nicht statt! Der "Beat Club" war einmalig! Dumm war nur, dass, kaum hatte ich den "Beat Club" entdeckt, er gerade auslief. 1972 war Schluss: ein Special über die Osmonds ("Crazy Horses" war klasse!) markierte das Ende. - Allerdings wurden die Folgen aus den 60ern recht schnell wiederholt. An Video-Recorder war noch nicht zu denken, weshalb ich auch den schlechten Fernsehton mit Mikrofon auf meine arg strapazierten Tonbänder bannen musste. Nicht gerade Hifi - aber besser als nichts war es allemal! So lernte ich mit ein paar Jahren Verspätung die Anfänge des Beat kennen (Gerry & The Pacemakers, Rattles, Lords, Hollies, Animals, Troggs, Equals, Sonny & Cher, Dave Dee, Dozy, Beaky, Mick and Tich sowie die bremische Band The Mushroams mit dem späteren Fußballnationalspieler Dieter Zembski). Ebenso die Hippie-Zeit und ihre Musik: Kinks, Who, Beach Boys, Donovan, Bee Gees, Procol Harum, Moody Blues, Yardbirds, Manfred Mann, Scott McKenzie, Mamas and Papas, Simon and Garfunkel, Canned Heat, Janis Joplin, Joan Baez, Jimi Hendrix, die Festivals von Monterey und Woodstock, den Kultfilm (hier passt der Begriff mal wirklich!) "Easy Rider" usw. Zusätzlich zu Uschi Nerke machte der englische Co-Moderator Dave Lee Travis seine Faxen. Aus heutiger Sicht ist es schon faszinierend, noch mal nacherleben zu können, wie sich die Sendung von Jahr zu Jahr weiterentwickelt hat. Dem entsprach eine rasante Entwicklung von Teilen der Jugend insgesamt und zwar just zur selben Zeit. Von Teilen wohlgemerkt - diese Flower-Power-Zeit sollte nicht romantisiert oder gar mystifiziert werden. Nicht alle revoltierten. - Manches von der Aufbruchstimmung spiegelt sich in den Beat-Club-Sendungen wider: die heute vollkommen brav und artig wirkenden Anfänge 1965/66, dann die Hochzeit der Hippies ("Summer of love") und die ersten nicht mehr ganz so smarten Typen ca. 1967/68, dazu eine immer wilder werdende Bildregie (rasante Schnitte, fast schon orgiastische Überblendungen und Collagen), vermehrte Blues-Einflüsse und stärkere Politisierung (Vietnamkrieg u.a.) ca. 1969/70 und schließlich die "Akademisierung" durch diverse Supergroups wie Emerson, Lake + Palmer, in denen bereits das Ende dieser Hochphase der Rockmusik angelegt war. Heutige Betrachter werden sicherlich kaum noch Anstößiges in den Sendungen finden - das sah aber seinerzeit ganz anders aus! In einer Folge etwa von 1966 verlas Uschi Nerke Briefe von jungen Zuschauern, deren Namen auf keinen Fall genannt werden sollten, weil sie ansonsten Ärger zu Hause, an der Schule oder bei der Arbeit befürchteten! Ein Briefeschreiber aus Nürnberg dachte "an unseren Führer, der so etwas nicht zugelassen hätte" und empfahl "die Deportation des ganzen Gesindels nach Vietnam". (Quelle: "Spiegel" 35/1968). "Das Gejaule glich einer wilden unterentwickelten Horde von Wilden, die vor dem Marterpfahl einen Kriegstanz absolvierten." * "Dieser Scheißdreck, den Sie uns in dieser Sendung gebracht haben, ist eine sog. Schande, 'Entartete Kunst'! Denken Sie, dass Ihre ganze Hörerschaft nur aus idiotischen Halbstarken besteht?" * "Meinen Kindern würde ich eher den Hosenboden versohlen, bevor sie sich noch einmal so einen Blödsinn ansehen- und hören müssen." * " … was diese langhaarigen flegel die lords sich im augenblick in preussischen uniformen leisten, ist der gipfel der geschmacklosigkeit. entweder besteht die leitung ihres senders aus kommunisten oder gesinnungslumpen." * "Diese Sendung war ein Skandal. Als Schulerzieher, Vorsitzender eines Stadt- und Kreisjugendrings und Mitarbeiter in anderen Gremien der Jugendarbeit gestatten Sie mir daher, Sie an Ihre pädagogische Verantwortung zu erinnern. … Die widerlich schamlose Mini-Tänzerin im ersten Teil der Sendung war wohl in ihrer widerlichen Obszönität unübertrefflich …" * "Dieses 'Geheule', das war ja was für gehirnlose Grasaffen. … Wenn das mit dem Beat-Club so weitergehen soll, dann kann ich nur hoffen, dass das Studio von Radio Bremen … bis auf die Grundmauern nieder brennt."* So war's vielerorts - auch noch ein paar Jahre später, als meine Haare ebenfalls länger wurden. Aber die Begeisterung der Jugendlichen war nicht zu bremsen! Im Gegenteil: das massive Geifern machte "ihre" Sendung vermutlich noch spannender! Dank des "Beat-Clubs" und des frühen "Musikladens" hatten auch hierzulande die rockbegeisterten Jugendlichen die Chance, ihre Idole mal in Aktion zu sehen. Ohne diese Sendungen wären etwa Beatles, Stones, Who, Kinks, Eric Clapton, Santana, Deep Purple, Ike+Tina Turner, John Mayall, Rory Gallagher, Eric Burdon, Roxy Music usw., usw. im TV der 60er bis Mitte 70er so gut wie nicht vorhanden gewesen! Ende 1972 startete der Beat-Club-Nachfolger, der "Musikladen". Regisseur Mike Leckebusch wollte ein breiteres Publikum ansprechen: " … bin soweit vorgeprescht, dass ich zum Schluss nur noch Hasch-Raucher am Apparat hatte." (TV Guide, 1993) Wieder bei Radio Bremen. Und wieder mit Uschi Nerke, jetzt gemeinsam mit Manfred Sexauer. Die beiden Moderatoren führten mit lockerem Stil durch die Sendung, ohne sich dabei zum Affen zu machen wie so viele andere TV-Moderatoren damals (und heute). Uschi Nerke gehörte seinerzeit für mich zu den ganz wenigen TV-Frauen, die nicht das kleine, artige und liebliche Dummchen vorgaben, sondern selbstbewusst auftraten. Der "Musikladen" enthielt in seinen ersten Jahren neben Livemusik für damalige TV-Verhältnisse freches Kabarett bzw. "Nonsens" sowie politische Cartoons. Letztere fand ich immer etwas holzschnittartig, aber ansonsten gefiel mir die Mischung. Aus heutiger Sicht harmlose Sketche von "Blödelbarden" à la Insterburg und Co., die auch mal unter die Gürtellinie gingen, fanden damals nur bei Radio Bremen statt – andere Sender hatten dafür keinen Platz! Es sollte noch ein bisschen dauern, bis ein gewisser Otto Waalkes aus Ostfriesland mit der Verklemmtheit im deutschen Fernsehen gründlich aufräumte… Musikalisch gab es mit Rock, Country, (Irish) Folk, Skiffle und vor allem Jazz ein breiteres Spektrum, wobei aber jenes, was mir in "disco" und "Hitparade" schwer auf den Zeiger ging, zum Glück nach wie vor draußen blieb!. Es wirkte alles spontan, locker und frech – immer im Vergleich zum sonstigen "weichgespülten" TV-Programm. Auch im "Musikladen" wurden etliche Musikgrößen vermutlich erstmalig dem deutschen TV-Publikum vorgestellt: Van Morrison, Randy Newman, Chi Coltrane, Mama Lion, Dubliners, Alexis Korner, Schnuckenack Reinhardt, Doldingers Passport, Stevie Wonder, Chris Barber u. v .a. m. Dazu kamen sogenannte Liedermacher wie Ulrich Roski oder Schobert & Black. Wie zuvor der "Beat Club" war auch der "Musikladen" im Fernsehen konkurrenzlos gut! Etwa um 1976 herum wandelte sich die Sendung, ging über zu durchgestyltem Pop und Disco-Sound, garniert mit immer weniger bekleideten Gogo-Girls. Die offenbarten neben ihren Reizen eben auch, dass die Musik rapide an Qualität verlor – zumindestens aus meiner Sicht. Der neue "WDR-Rockpalast" hatte inzwischen mehr zu bieten. Auch der Synthie-Pop oder New Wave um Duran Duran oder Depeche Mode, Schwerpunkt Anfang der 80er im "Musikladen", war nicht mehr "mein Ding". Immerhin traten 1977 die Puhdys aus der DDR auf – ein Novum im westdeutschen Fernsehen! Ich habe bis zum Ende 1984 zwar immer mal wieder reingeguckt, aber ein Fan der Sendung war ich nicht mehr, schon gar nicht mehr einer mit Mikro in der Hand vorm Monitor ... Inzwischen habe ich mich auch sehr für deutsche und internationale Folkmusik begeistern können, auch dank des hiesigen Folk Clubs (Strackholt, Ostfriesland!). Aber die Mucke von damals bleibt unerreicht!! *Quelle jeweils Thorsten Schmidt (Hg.): "Beat Club - alle Sendungen - alle Stars - alle Songs", Kultur Buch Bremen In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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