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TV-Erinnerungen an gute, alte Fernsehzeiten
Re: 50 Jahre "Ein Herz und eine Seele"
geschrieben von: Kaschi, 17.01.23 12:43
Für die leider nicht mehr existierende Website "TV-Nostalgie" habe ich mal was über Alfred und Co. zum Besten gegeben:

"Pizza schmeckt wie vollgepisste Wolldecke!"

... machmal auch wie toter Frisör! Solcherlei Erkenntnisse verkündete zwischen 1973 und 1976 "Ekel Alfred".

"Ein Herz und eine Seele" lief zunächst nur für die Zuschauer des Dritten Programms vom Westdeutschen Rundfunk, noch in schwarzweiß. Alle anderen, auch wir im Norden, bekamen Alfred Tetzlaff in der ARD erstmalig Silvester 1973 zu sehen und vor allem zu hören. Ich war sofort begeistert!

So etwas hatte es im Fernsehen noch nicht gegeben! Familienserien zeichneten bis dahin oft das Bild einer liebenswerten Gemeinschaft, in der es zwar auch mal Ärger und Probleme gab, die aber stets zusammenhielt, wenn es darauf ankam. Die Charaktere waren fast ausnahmslos positiv besetzt: strenge, aber wohlmeinende Väter, warmherzige Mütter, quirlige Kinder, drollige Bekannte oder Großeltern, dazu das eine oder andere putzige Haustier.

Mit den "Unverbesserlichen" um Inge Meysels Mutter Inge Scholz gab es allerdings bereits eine Kleinserie, die sich an die Realität wagte, welche eben nicht immer aus intakten Familien bestand und besteht. Doch die Tetzlaffs gingen noch einen Schritt weiter: hier wurde in Person von Familienvater Alfred dem TV-Publikum ein Charakter vorgeführt, der widerwärtig und dabei nicht unrealistisch war! Autor Wolfgang Menge ("Das Millionenspiel", später Talkshowmaster von "Drei nach Neun") hatte die britische Serie "Till death us do part" messerscharf auf deutsche Verhältnisse übertragen.

Zu den Hauptpersonen:

Alfred Tetzlaff (Heinz Schubert) ist spießig, feige, verlogen, ordinär, egoistisch, hinterhältig, unsensibel, reaktionär, ausländerfeindlich, rassistisch und tischt absurde Verschwörungstheorien auf (Ulbricht war Spion des Westens …). Er ist frauen- und kinderfeindlich und läßt keine Diffamierung aus. Seine Meinungen zu allem und jedem sind von Kenntnissen zumeist unbelastet. Seine Manieren lassen mehr als zu wünschen übrig. Nach „oben“ ist Alfred devot, nach „unten“ herrisch und aggressiv. Dass er als „Familienoberhaupt“ in seinen eigenen vier Wänden allein zu bestimmen hat, steht für ihn außer Frage.

Seine Frau Else, geborene Böteführ (Elisabeth Wiedemann), steckt voller Enttäuschung und Verzweiflung darüber, wie sich ihre Ehe in rund 25 Jahren entwickelt hat. Sie ist gehemmt, unterwürfig, muckt nicht oder nur minimal auf gegen ihren Mann. Ihr Selbstbewußtsein ist gründlich zerstört, ihre geringe Allgemeinbildung führt sie immer wieder aufs Glatteis. Sie träumt vergeblich von einem trauten Heim – und von einem anderen Leben: „Das wär’ aber nicht schlecht, wenn der Herr SCH-midttt bei uns die Briefe austragen würde. Das wär’ doch mal was anderes hier in unserer Gegend! So ein gut aussehender Mann!“

Schwiegersohn Michael Graf (Diether Krebs) stammt aus der DDR. Er ist derjenige, der Alfreds Hasstiraden immer wieder entlarvt und ihn demaskiert. Politisch dürfte er den Jusos nahestehen. Mit seiner oft hilflosen Schwiegermutter geht er rücksichtsvoll um. Manchmal benimmt er sich aber auch daneben, bekommt dann aber von seiner Frau Rita was zu hören.

Alfreds Tochter Rita (Hildegard Krekel) versucht am meisten von allen, die Familie in den zahlreichen Konfliktsituationen zusammenzuhalten. Sie hat ein wachsames Auge auf die Aktivitäten ihres Mannes, der zuweilen anderen Frauen nachstellt. Dabei hat sie eine Menge für männliche Augen zu bieten. Alfred: „Man braucht sich ja nicht mal zu bücken, um Dir unter den Rock zu gucken!“ – „Du nicht! Andere schon!“ - Hildegard Krekel und Diether Krebs waren zur Drehzeit auch jenseits der Studiobühne ein Paar.

Ein Kumpel von Alfred, Koslowski, taucht in mehreren Folgen auf. Koslowski ist ein „schmieriger“, hinterhältiger Typ. – Sehr oft ist von der Nachbarin Frau Suhrbier die Rede, vor allem, weil sie zu Alfreds Ärger die „Sozis“ wählt. Allerdings ist Frau Suhrbier im Laufe der gesamten Serie nicht einmal im Bild zu sehen!

Nicht überall wurde die Satire damals verstanden. Ich kann mich an Meinungsäußerungen erinnern, die in die Richtung gingen: „Bravo Alfred! Nicht einschüchtern lassen! Endlich sagt’s mal einer!“ Andere fragten sich, ob im Fernsehen beleidigende Sprüche, etwa über die damaligen SPD-Bundeskanzler Brandt und Schmidt, und Kraftausdrücke wie „Scheiße!“, „Halt’s Maul, Du Arschloch!“ sowie die berühmt-berüchtigte „dusslige Kuh“ nicht zu weit gingen. Schließlich zog Alfred massiv über Schwule her, über Juden, über Ausländer, Schwarze, über die „auch irgendwie Deutschen“ in der „Zone“, über Sozialdemokraten und Kommunisten. Etliche Berufsgruppen bekamen ihr Fett ab. Alfred polarisierte bei Einschaltquoten um die 60 % die Fernsehnation! Vielen Menschen wurde der Spiegel vorgehalten – und die fanden das oft gar nicht zum Lachen …

Ein paar Leserbriefe aus „Hörzu“ zur ARD-Premiere der Tetzlaffs Silvester 1973 veranschaulichen die Aufregung, die Alfred verursachte:

„Wenn das die Alltagssprache des ‚Volkes der Dichter und Denker’ sein soll, dann kann ich nur mit Heine sagen: ‚Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht!’ Gute Nacht!“

„Endlich mal eine Serie, bei der einem nicht vor Gähnen die Weisheitszähne rausfallen, und schon bekommen es einige mit der Angst, das Gemüt des braven Durchschnittsbürgers würde zerrüttet.“

„In welchem anderen Land ist es möglich, Staatsmänner in solch einer Weise zu beschimpfen und in den Dreck zu ziehen? Ich, der ich gern lache, sage nur Pfui und noch einmal Pfui zum Blödmann Alfred und seiner Familie.“

„Lieber Herr Tetzlaff, mit Ihrer Meinung liegen Sie dicht bei der Wahrheit, und das können so manche Zeitgenossen nicht vertragen.“

Zur Folge „Ladendiebstahl“ meinte ein „Hörzu“-Leser:
„Was glauben denn die Negativkritiker der Serie, wie es in manchen deutschen Ehen zugeht? Für diese ist ‚Alfred’ nur eine etwas übertriebene Vaterfigur.“

Der WDR wolte in einer wissenschaftlichen Untersuchung herausfinden, ob Alfred möglicherweise Vorurteile bestärken würde, faschistoide Strömungen unterstützen würde. Das „Institut für empirische Psychologie“ Köln konnte aber beruhigen: mit Alfred identifizierten sich nur wenige. Wohl aber erkannten in ihm viele ihre Nachbarn und andere Bekannte wieder …

Als 1976 die Serie neu aufgelegt wurde, waren Elisabeth Wiedemann und Diether Krebs nicht mehr dabei. In Rückblicken auf die Serie ist mal von höheren Gagenforderungen die Rede, mal von Einflußnahmen der SPD, die um Wählerstimmen bei der 76er Bundestagswahl gefürchtet und deswegen zum Verdruss von Diether Krebs eine Entschärfung von Alfreds Sprüchen verlangt haben soll. Autor Wolfgang Menge ließ in einem „Spiegel“-Interview (Nr.11/1998) zur Frage nach einer Neuauflage durchblicken, dass es Knatsch im Team gab: „ … sie waren damals auch privat selten ein Herz und eine Seele. Elisabeth Wiedemann hätte vermutlich nicht für Geld und gute Worte mit dem Ex-Kollegen Heinz Schubert arbeiten wollen.“

Else wurde nun von Helga Feddersen gespielt, Michael von Klaus Dahlen. Doch der Pfiff der Serie war dahin. Klamauk beherrschte fortan die Szenerie.

Auch in der alten Besetzung hatten Slapstick-Elemente zum Konzept gehört – etwa, wenn Alfred Rotkohl kocht, dabei die auf den Fußboden gefallenen Reste per Handfeger aufkehrt und in den Kochtopf befördert: „Wenn das gut gewürzt wird, schmeckt das kein Mensch!“ Doch solche Einlagen (wie auch die ständigen Anspielungen auf seine Körpergröße) waren Zutaten gewesen – in der Neuauflage dominierten sie.

Hinzu kam, dass die Rolle der Else verändert wurde. Die stille Verzweiflung und die abgrundtiefe Enttäuschung, die Elisabeth Wiedemann der Else gab, transportierten eine bitterböse Botschaft über den Bildschirm. Als dann aber Helga Feddersen als Else regelmäßig Kontra gab und Alfred ständig über den nun wohlbeleibten Michael herzog („Speckbulle!“), wurde der Konflikt verwässert. Folgerichtig kam die zweite Besetzung auch längst nicht so gut an bei den Zuschauern. Nach nur vier neuen Folgen war Schluss – mit der Ankündigung, dass Rita ein Baby erwartet. Vor Gericht stehend, schloss Alfred sein Plädoyer in eigener Sache mit: „Freispruch für Alfred Tetzlaff!“

Die insgesamt 25 Folgen umfassen einige Episoden, die zunächst in schwarzweiß im Dritten WDR-Programm gesendet und später – leicht variiert – nochmal in Farbe für die ARD ausgestrahlt wurden.

Spätere Versuche, das Erfolgsrezept erneut anzuwenden („Motzki“, „Trotzki“, „Das Lied zum Sonntag“), zogen längst nicht in dem Maße wie Familie Tetzlaff anno 1973/74. - Drei Folgen der ersten Besetzung werden bis heute regelmäßig zu bestimmten Feiertagen wiederholt – „Rosenmontagszug“ zu Karneval, „Besuch aus der Ostzone“ zum 3. Oktober, „Silvesterpunsch“ zum Jahresende.

Alfred Tetzlaff ist noch heute eine allgemein bekannte Fernsehfigur – auch bei den Jüngeren, die Mitte der 70er Jahre noch nicht geboren waren. Allerdings regt sich inzwischen keiner mehr über „Ekel Alfred“ auf. Zum einen natürlich, weil durch etliche Wiederholungen die Handlungen und Dialoge bekannt sind. Damals wurde tagesaktuell von einer Studiobühne vor etwa 60 Zuschauern aufgenommen und gesendet. Zum anderen aber auch, weil viele Jüngere heute wohl mit den politischen Grabenkriegen zu Zeiten des Kalten Krieges nichts mehr anfangen können. Sie dürften sich vermutlich weniger über die politischen Sprüche amüsieren, als vielmehr über den Familiendespot und die Slapstick-Elemente.

Mir geht es beim Wiedersehen so, dass ich immer wieder von Neuem erstaunt bin, wie genau die Charaktere getroffen sind! Es gibt Leute, die sich noch heute die Serie nicht angucken können, weil sie ihnen aufgrund eigener Erfahrungen zu nahe geht!

Die 76er Folgen gehören für mich nicht wirklich zu dieser Serie. Das war plötzlich eine ganz anders zusammengesetzte Familie, die auch ins Millowitsch- oder Ohnsorg-Theater gepasst hätte. Aber was davor war, gehört zum Besten, was je bei uns im Fernsehen gelaufen ist!

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  50 Jahre "Ein Herz und eine Seele"
Tetzlaff 15.01.23 20:48 1151 
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ondina 16.01.23 11:50 308 
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Elvira Klawitter 18.01.23 21:07 230 
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U56 17.01.23 14:26 174 
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Wilkie 17.01.23 23:20 171 
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Kaschi 18.01.23 14:04 207 


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