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"Big Brother"-Finale: Die einzige echte Realityshow verabschiedet sich - für immer?
geschrieben von: TV Wunschliste, 18.05.20 10:33
Heute Abend (18. Mai) ist es so weit: Der Sieger oder die Siegerin der 13. deutschen "Big Brother"-Staffel wird nach 100 Tagen als Letztes das Haus mit einem Gewinn von 100.000 Euro verlassen. Gina, Pat, Cedric, Rebecca, Vanessa und Philipp sind die sechs Finalisten und zogen allesamt am 10. Februar ein. Trotz dauerhaft enttäuschender Quoten hat Sat.1 an dem Format festgehalten und die Staffel nicht vorzeitig abgebrochen. Die Tatsache, dass der Sender in den vergangenen Wochen die montäglichen Live-Shows nicht mehr wie geplant um 20.15 Uhr gezeigt hat, sondern erst gegen 22 Uhr, lässt jedoch erahnen, dass der Große Bruder für Sat.1 keinen großen Stellenwert mehr besitzt. Auch das Finale beginnt erst zu später Stunde, gegen Mitternacht gehen die Lichter im Haus aus - womöglich für immer.

20 Jahre nachdem "Big Brother" das erste Mal in Deutschland zu sehen war, wollte Sat.1 mit der Jubiläumsstaffel für Aufwind an seinem chronisch schwachen Vorabendprogramm sorgen - nachdem dort zuvor bereits zahlreiche Genres wie Daily Soap, Quiz, Magazin oder Kuppelshow untergingen. Geklappt hat es nicht, "Big Brother" blieb die gesamte Laufzeit über hinter den Erwartungen zurück. Der Aufhänger der Staffel, dass die Bewohner regelmäßig mit Sterne-Bewertungen und Kommentaren der Zuschauer konfrontiert werden, erwies sich als wenig zugkräftig. Auch zwischenzeitliche Konzeptveränderungen und handwerkliche Anpassungen zeigten keine Wirkung. Doch woran lag es? Schlicht zu sagen, dass das Format nicht mehr zeitgemäß sei, wäre zu einfach und auch nicht korrekt. Schließlich läuft es nach wie vor in vielen anderen Ländern erfolgreich.
Die Finalisten: oben: Gina, Vanessa, Cedric, Rebecca; unten: Pat, Philipp Sat.1/EndemolShine/Stefan Menne


Neben dem hart umkämpften Sendeplatz um 19 Uhr und dem insgesamt geringen Zuspruch für Sat.1 in dieser "Todeszone" liegen die Ursachen wohl in der Entwicklung der deutschen Reality-TV-Szene. Waren "Big Brother" und das Dschungelcamp zwischen 2000 und 2010 langfristig betrachtet die alleinigen Platzhirsche auf dem Gebiet, kamen in den vergangenen Jahren immer mehr Sendungen hinzu, die immer noch eine Schippe drauflegen wollten: Von "Der Bachelor" (ab 2012) und "Die Bachelorette" (ab 2014) über "Promi Big Brother" (ab 2013), "Adam sucht Eva" (ab 2014) und "Das Sommerhaus der Stars" (ab 2016) bis hin zu den jüngsten Auswüchsen mit "Love Island" (ab 2017), "Bachelor in Paradise" (ab 2018), "Paradise Hotel" und "Temptation Island" (beide ab 2019) und dem Tiefpunkt "Promis unter Palmen" (ab 2020, TV Wunschliste berichtete).

Sprach man zuvor jahrelang von Reality-TV, hielt im Zuge dieser Entwicklung der inzwischen inflationär gebrauchte Begriff des Trash-TV Einzug. Damit einher geht eine veränderte Erwartungshaltung und Bewertung der Protagonisten. Bei diversen Insel-Kuppelshows oder Formaten mit Möchtegern-Z-Promis geht es den Zuschauern vorwiegend darum, sich über das haarsträubende und teilweise primitive Sozialverhalten der Teilnehmer zu amüsieren. Dabei soll es möglichst viel Stress, Konflikte und "Konfro, Konfro, Konfro" geben, damit die Twitter-Welt jubelt und die Zuschauer ihre niedersten Instinkte befriedigen können. Schadenfreude und Häme spielen die zentrale Rolle.
Die Bewohner von Glas- und Blockhaus werden vereint.Sat.1


All das hat jedoch wenig mit der Grundidee von "Big Brother" gemein. Im Kern geht es nämlich um ein langfristiges Sozialexperiment, bei dem sich eine Gruppe von zusammengewürfelten Menschen aus den unterschiedlichsten Lebensumständen über mehrere Monate isoliert von der Außenwelt organisieren muss. Die Zuschauer beobachten die Entwicklung gruppendynamischer Prozesse und werden Zeuge davon, wie sich Lieb- und Feindschaften bilden. "Big Brother" soll, so weit es geht, das wahre Leben abbilden und wird mitunter auch von der dramatischen Realität eingeholt. So wie in der aktuellen Staffel, als die Bewohner in der Isolation zunächst nichts von der Corona-Pandemie mitbekommen haben, bis sie schließlich in einer Sondersendung darüber informiert wurden. Die sichtlich geschockten Bewohner konnten Fragen stellen und erhielten außerdem Video-Botschaften von ihren Angehörigen. Echter und wahrhaftiger war deutsches Reality-TV lange nicht mehr.
Die Bewohner werden über die Corona-Krise informiert. Sat.1


Die lange Laufzeit einer "Big Brother"-Staffel ist Stärke und Schwäche zugleich. Denn im Gegensatz zu anderen Formaten soll sich alles so natürlich und authentisch wie möglich entwickeln - ohne zu viel redaktionelle Einflussnahme, die bestimmte Reaktionen provoziert. Dies hat zur Folge, dass es stets länger dauert, bis man mit den Bewohnern "warm" wird. Doch aufgrund der langen Dauer baut man auch als Zuschauer letztendlich eine viel stärkere Bindung auf, identifiziert sich mit bestimmten Bewohnern, fiebert mit ihnen mit und hat klare Sympathien und Antipathien. Deshalb verspürt man auch eine gewisse Leere, wenn eine Staffel vorbei ist und die liebgewonnenen Charaktere, die einen monatelang begleitet haben, plötzlich weg sind.

Zahlreiche Konkurrenzformate sind heutzutage voraufgezeichnet und werden stark komprimiert auf sechs bis acht Folgen zusammengeschnitten - oder es handelt sich wie bei "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" oder auch "Promi Big Brother" um möglichst schlagzeilenträchtige, zweiwöchige Eventshows. Eine enge Bindung zwischen Zuschauer und Protagonisten ist daher kaum möglich und auch gar nicht gewollt - dort geht es schließlich nur um das kurze Trash-Vergnügen. Vielleicht haben einige Zuschauer auch deshalb keine Geduld mehr zu warten, bis sich etwas entwickelt und sind nicht (mehr) bereit, sich auf eine 100-tägige Realityshow einzulassen, abgesehen vom harten "Big Brother"-Kern.
Sat.1


Noch stärker wäre die Bindung natürlich gewesen, wenn Sat.1 nicht auf einen Livestream verzichtet hätte - im Grunde das Herzstück von "Big Brother". Das war eine von mehreren Fehlentscheidungen seitens des Senders, zu der auch das Fehlen von Tageszusammenfassungen am Wochenende zählte. Endemol Shine hätte den Fans gerne einen Livestream zur Verfügung gestellt, doch ausgerechnet in dieser Staffel, in der der Einfluss von sozialen Netzwerken auf unser digitalisiertes Leben beleuchtet wird, und in der es erstmals möglich war, Bewohner interaktiv per App zu bewerten, entschied sich Sat.1 dafür, zum ersten Mal eine reguläre deutsche "Big Brother"-Staffel völlig ohne Livestream zu senden. Das Versprechen, als Ersatz das "umfangreichste Digital-Paket in der Geschichte von 'Big Brother'" zu bieten, entpuppte sich als heiße Luft.

Und trotzdem: Nur bei "Big Brother" ist es wirklich möglich, Menschen in all ihren Facetten über einen langen Zeitraum kennenzulernen, selbst wenn man lediglich auf Tageszusammenfassungen zurückgreifen kann. Als Zuschauer ertappt man sich immer wieder dabei, seine vorgefertigten Meinungen über Bord werfen und seinen ersten Eindruck über so manchen Bewohner revidieren zu müssen. In der Zusammenstellung der Bewohner bewiesen die Macher in diesem Jahr ein besonders gutes Händchen. Es handelte sich um den vielfältigsten und interessantesten Cast seit Staffel 6. Wer hätte zu Beginn der Staffel gedacht, dass sich das damals 19-jährige Küken Gina zur absoluten Staffel-Favoritin entwickeln würde? Hinter der stark überschminkten Bewohnerin verbarg sich eine reife, empathische und reflektierte Frau, die mit ihrem Charakter und ihrem selbstironischen Wortwitz die Sympathien der Zuschauer auf sich zog.
Gina Sat.1


Zwischen dem sensiblen und verpeilten Tim und der herrlich überdrehten und begeisterungsfähigen Rebecca entwickelte sich erst mehr als zwei Monate nach Beginn der Staffel eine tiefe Zuneigung, die echter wirkt als angebliche Liebe in künstlichen Datingshows. Abgesehen davon wären beide vermutlich durch das Casting von derlei Formaten gefallen, weil sie optisch nicht dem gleichförmigen Prototyp von Teilnehmern bei "Love Island" und Co. (viel Bizeps und Schönheits-OPs, mangelnder Intellekt) entsprechen.
Zwischen Tim und Rebecca hat es gefunkt. Sat.1


Dies gilt auch für die temperamentvolle Vanessa ("Cedric denkt halt manchmal auch nur von der Wand bis zur Tapete") und den wortgewandten Pat ("Ein Mann, ein Wort - eine Tunte, eine Enzyklopädie!"). Gemeinsam waren "Patessa" die wohl liebenswertesten Tratschtanten von "Big Brother". Und auch beim Rest des anfänglichen Casts handelte es sich größtenteils um spannende und gleichzeitig angenehm normale, sozial verträgliche Kandidaten - und eben keine übertrieben extrovertierten und aufmerksamkeitsgeilen Influencer, die schon durch zig andere Formate getingelt sind. Mit diesem Cast wollten die Macher offenbar ganz bewusst einen Gegenentwurf zum sonst üblichen Proll-Personal liefern.
Pat und Vanessa sind "Patessa" Sat.1


"Big Brother"-Zuschauer sind nämlich im Kern keine Trash-TV-Fans, daher war es auch nicht überraschend, dass die Quoten nicht angestiegen sind, als Sat.1 verzweifelt Ex-"DSDS"-Sänger Menowin Fröhlich und die beiden "Bachelor in Paradise"-Kandidaten Serkan und Jade engagierte und ins Haus schickte. Der Unterschied zum ursprünglichen Cast war spürbar - den Nachzüglern ging es nicht um die Erfahrung, sondern lediglich darum, sich zu inszenieren und ihre Bekanntheit zu steigern. Dementsprechend verhielten sie sich unauthentisch und passten schlichtweg nicht zu "Big Brother".
Die "Bachelor in Paradise"-Kandidaten Jade und Serkan sollten für Quotenaufschwung sorgen - was nicht geklappt hat. Sat.1


Schon im Vorfeld enstand nicht unbedingt der Eindruck, dass Sat.1 für "Big Brother" so richtig die Werbetrommel gerührt hat. Vor allem angesichts der Tatsache, dass immerhin die Mutter aller Realityshows zurückgekehrt ist, wirkte es stets so, als würde Sat.1 mit angezogener Handbremse fahren und dem Format nur geringe Priorität einzuräumen. Diverse handwerkliche Mängel und Fehlentscheidungen (kein Livestream etc.), die Missachtung der Wünsche der Fans und eine offensichtlich falsche Erwartungshaltung des Senders dürften Schuld an der Misere sein. Für anspruchsvolleres Reality-TV, in dem nicht alles auf Teufel komm raus auf Krawall gebürstet ist, sind allem Anschein nach auch viele Zuschauer kaum noch empfänglich. Diese schmerzhafte Erfahrung musste Ende 2019 auch VOX mit dem gescheiterten Comeback der Abenteuer-Realityshow "Survivor" machen. Lobenswert ist, dass sich die Redaktion von den enttäuschenden Quoten jedoch nicht entmutigen ließ und gerade in der zweiten Staffelhälfte einige kreative Ideen für Wochenaufgaben und Matches umgesetzt hat - auch der Schnitt und die Produktion der Tageszusammenfassung wurden professioneller. Es war zu spüren, dass die Macher selbst Spaß an der Sendung und die Bewohner liebgewonnen hatten.
Sat.1


Die Zukunftsaussichten für "Big Brother" sind alles andere als rosig. Ein genauer Blick auf die Quoten offenbart, dass die vergangene Staffel im Schnitt zwischen 800.000 und einer Million Zuschauer verfolgt haben. Verglichen mit den späteren Staffeln bei RTL Zwei fällt der Unterschied gar nicht mal so eklatant aus. Schon zwischen 2007 und 2011 bestand der harte Kern der deutschen "Big Brother"-Community aus vergleichbaren Reichweiten. Problematisch war allerdings die Tatsache, dass gerade junge Zuschauer in der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen dem Format fernblieben und die Marktanteile in dieser Altersklasse ungenügend waren. Nun ist Sat.1 allerdings auch kein Sender, der beim jungen Publikum ein sonderlich hohes Standing hat, das zeitgleich seit vielen Jahren verlässlich mit Daily Soaps bei RTL und RTL Zwei versorgt wird. Dennoch dürfte eine weitere Staffel nach dieser Erfahrung bei Sat.1 in weite Ferne gerückt sein. Tot ist das Format allerdings nicht. Irgendwo auf der Welt wird es immer heißen: Big Brother is watching you.
Die Finalisten von "Big Brother" 2020 Sat.1/EndemolShine/Stefan Menne


18.05.2020 - Glenn Riedmeier/TV Wunschliste
Bild: Sat.1


[www.wunschliste.de]

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  "Big Brother"-Finale: Die einzige echte Realityshow verabschiedet sich - für immer?
TV Wunschliste 18.05.20 10:33 514 
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Krid H. Erne 18.05.20 15:02 395 


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