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Trümmerhaufen Tagesprogramm: Die späte Rache des Scripted-Reality-Wahns
geschrieben von: TV Wunschliste, 03.06.20 16:24
Seit Jahren ist das Tagesprogramm von RTL und Sat.1 eine Dauer-Baustelle. Während RTL bisher vergeblich versucht, am Nachmittag auf einen grünen Zweig zu kommen, ist es bei Sat.1 vor allem der Vorabend, der einem Trümmerhaufen gleicht. Mit unzähligen Formaten aus den unterschiedlichsten Genres haben die beiden Sender in den vergangenen Jahren versucht, ihre Einschaltquoten zu verbessern.

Viele Formate wurden umgehend abgesetzt: Erinnert sich noch jemand an die Erfinder-Shows "Wie genial ist das denn?!" und "Hol dir die Kohle", die Kuppelshow "Nächste Ausfahrt Liebe", das Lügendetektor-Experiment "Ungelogen", den "Gerichtsreport Deutschland", die Abnehm-Doku-Soap "Ran an den Speck - Familien nehmen ab" oder an die weihnachtliche Doku-Soap "Unser allerschönstes Weihnachten"? Bei anderen Sendungen wurde ein längerer Atem bewiesen, der letztendlich aber auch nicht belohnt wurde - ob das Vorabendmagazin "Endlich Feierabend!", die Soaps "Freundinnen - Jetzt erst recht", "Alles oder Nichts" und "Herz über Kopf", das Comeback von "Big Brother", die Gameshow "Genial daneben - Das Quiz" oder der Daily-Talk "Marco Schreyl" - funktioniert hat praktisch nichts.

Je länger RTL und Sat.1 händeringend nach erfolgversprechenden Lösungen für ihr Tagesprogramm suchen, umso deutlicher wird das Problem: Indem man jahrelang nur auf kostengünstiges und auch inhaltlich billiges Programm am Nachmittag und Vorabend gesetzt hat, umso mehr hat man potenzielle Zuschauer vergrault - die jetzt nicht mehr zurückkommen. Lange Zeit hat die Strategie funktioniert. Zunächst holten krawallige Scripted Realitys à la "Familien im Brennpunkt", "Mitten im Leben!" und "Pures Leben - Mitten in Deutschland" Topquoten, später wurde das Prozedere mit Pseude-Crime-Dokus wie "Der Blaulicht Report", "Schicksale - und plötzlich ist alles anders", "Verdachtsfälle" und "In Gefahr - Ein verhängnisvoller Moment" fortgesetzt.
TVNOW


Als die Formate jedoch ihre besten Zeiten hinter sich hatten, versuchten Sat.1 und RTL plötzlich wieder, mit Sendungen abseits des niveaulosen Scripted-Reality-Einerleis auf Quotenfang zu gehen. Doch das Vorhaben erwies sich als Sisyphusarbeit. Mit den unterschiedlichsten Genres versuchten die Sender ihr Glück, doch so gut wie alles floppte. Was die Sender offenbar komplett unterschätzt haben: Die enttäuschten Zuschauer, die man mit dem Billigprogramm der vergangenen Jahre vergrault hat, lassen sich kaum wieder zurückgewinnen, da sie inzwischen zu Alternativen abgewandert sind - sei es zu Streamingdiensten wie Netflix und Prime Video oder zu den Öffentlich-Rechtlichen, die mit Sendungen wie "Bares für Rares", "Wer weiß denn sowas?" und "Sturm der Liebe" Erfolge feiern. Warum sollten die Menschen plötzlich wieder zu RTL und Sat.1 zurückkehren, wenn sie längst bessere Alternativen gefunden haben?

Übrig geblieben sind tagsüber bei RTL und Sat.1 offensichtlich nur noch jene Zuschauer, denen alles abseits von banalen Scripted-Reality-Storylines zu hoch ist. Anders lässt es sich nicht erklären, dass die Versuche, ein etwas anspruchsvolleres Programm zu gestalten, vom verbliebenen Publikum mit Missachtung gestraft werden. Ob es dem persönlichen Geschmack entspricht oder nicht: In einer Live-Talkshow wie "Marco Schreyl" zu gesellschaftlich relevanten Themen, einer aufwendigen Realityshow wie "Big Brother" oder einer humorvollen Spielshow wie "Genial daneben - Das Quiz" steckt definitiv mehr Leidenschaft und Herzblut als in billig zusammengeschusterten Pseudo-Reality-Formaten, in denen Laiendarsteller nach banalen Drehbüchern spielen.

Seit Juli 2018 hält Sat.1 an "Genial daneben - Das Quiz" fest. Doch ein Erfolg wurde der Vorabend-Ableger der Comedyshow mit Hugo Egon Balder nicht, stattdessen dümpelte die Sendung bei Marktanteilen zwischen 4 und 7 Prozent vor sich hin. Zwischen Februar und Mitte Mai sollte das Comeback von "Big Brother" für einen Aufschwung sorgen, doch die Staffel holte letztendlich im Schnitt nur 6 Prozent in der jungen Zielgruppe. Sat.1 hatte sich mehr von der Rückkehr der Realityshow erhofft. Doch seitdem "Genial daneben - Das Quiz" den Sendeplatz wieder übernahm, läuft es noch viel schlechter: In den ersten zwei Wochen waren nicht mehr als 4,0 Prozent Marktanteil in der jungen Zielgruppe drin - mit 2,2 Prozent wurde gar ein neuer Tiefstwert aufgestellt. Gestern ging es mit 5,6 Prozent zumindest etwas aufwärts.
"Genial daneben - Das Quiz" Sat.1/Willi Weber


Es ist schlichtweg ernüchternd, dass Wiederholungen vom "Blaulicht Report" vormittags bei RTL und "Auf Streife" nachmittags in Sat.1 weiterhin zweistellige Marktanteile holen, während sämtliche Versuche, mit ambitionierteren Formaten Fuß zu fassen, anscheinend zum Scheitern verurteilt sind. Ganz bitter sieht es auch am Samstag aus: Bis heute strahlt RTL nonstop von 6 Uhr morgens bis 17.45 Uhr Wiederholungen längst eingestellter Scripted Realitys wie "Verdachtsfälle", "Familien im Brennpunkt" und "Der Blaulicht Report" aus. Ein Trauerspiel, wenn man bedenkt, wie viel liebevoller und abwechslungsreicher das Samstagsprogramm noch bis Mitte der 2000er gestaltet war (TV Wunschliste berichtete).

Sat.1 steht RTL mit Marathon-Ausstrahlungen von "Klinik am Südring" und "Auf Streife - Die Spezialisten" allerdings in nichts nach. Offensichtlich haben sich die beiden Sender mit der Strategie, jahrelang auf möglichst billige Art und Weise Programm zu machen, ins eigene Knie geschossen. Würden die Quoten nicht halbwegs akzeptabel sein, sähe das Programm anders aus.

Es ist auch kein Zufall, dass der Spartensender RTLplus, der eigentlich mit dem Vorhaben antrat, Klassiker aus dem RTL-Archiv zu zeigen, 70 Prozent seines gesamten Programms mit Gerichtsshow-Wiederholungen bestückt. Und Sat.1 Gold zeigt mittlerweile an mehreren Tagen zur Primetime alte Folgen von "K 11 - Kommissare im Einsatz", "Niedrig und Kuhnt" und "Lenßen & Partner". Im Oktober 2019 feierte man gar mit einer Marathon-Programmierung von "K 11" den erfolgreichsten Tag in der Sendergeschichte. Jeder Sender bekommt allem Anschein nach wirklich die Zuschauer, die er verdient.
"Marco Schreyl" TVNOW/Stefan Gregorowius


Im Februar 2020 schickte RTL ein komplett neues Nachmittagsprogramm an den Start. Neben einer Trödel-Spielshow mit Oliver Geissen und einer Kochshow mit Steffen Henssler wollte der Kölner Sender das Genre des Daily-Talks am Nachmittag wiederbeleben. "Marco Schreyl" ist montags bis freitags um 16 Uhr zu sehen - ein denkwürdiger Sendeplatz, schließlich ging 1992 der erste deutsche Daily-Talker "Hans Meiser" um diese Zeit auf Sendung. Doch das Comeback sollte nur von kurzer Dauer sein: RTL hat nach anhaltend schlechten Einschaltquoten beschlossen, die Talkshow zum 12. Juni einzustellen.

Zu Beginn der Corona-Krise stellte "Marco Schreyl" auf monothematische Live-Ausgaben rund um die Pandemie um. Das Informationsbedürfnis der Zuschauer war hoch, die Marktanteile wurden zweistellig und die Sendezeit wurde zeitweise auf 90 Minuten verlängert. Doch der positive Trend hielt nicht lange an und ebbte bald wieder ab. Deutlich einstellige Marktanteile bei den 14- bis 49-Jährigen sind die Regel. Am 19. Mai wurde mit 2,9 Prozent Marktanteil der bisherige Negativ-Rekord aufgestellt. Nur 315.000 Zuschauer schalteten insgesamt ein. Angesichts dieser Werte erschien eine Fortsetzung äußerst unwahrscheinlich.

Bereits am 5. Juni endet vorerst die Trödel-Gameshow "Kitsch oder Kasse" mit Oliver Geissen. Ob die ebenfalls durchwachsen laufende Sendung fortgesetzt wird, steht noch in den Sternen. Einzig "Hensslers Countdown - Kochen am Limit" bleibt um 17 Uhr erhalten. Hiervon hat RTL noch einige ungesendete Folgen auf Lager, da die Ausstrahlung der Kochshow mit Steffen Henssler durch die zeitweise auf 90 Minuten verlängerten Corona-Spezial-Ausgaben von "Marco Schreyl" unterbrochen wurde. Die Sendung holt ebenfalls nur schwache Quoten im deutlich einstelligen Bereich.

Als einziges Glanzstück haben sich für RTL "Die Superhändler" entwickelt. Die Trödelshow läuft seit Ende August 2018 und holt um 14 Uhr immer wieder zweistellige Marktanteile für den Kölner Sender. Ab Mitte Juni setzt der Sender vorerst auf Doppelfolgen der Sendung - eine Dauerlösung kann dies jedoch nicht sein.
"K 11 - Die neuen Fälle" Sat.1/Benedikt Müller


Sat.1 blickt ebenfalls mit Wehmut auf längst vergangene Zeiten zurück, als Pseudo-Crime-Formate am Nachmittag und Vorabend regelmäßig Top-Quoten verzeichnen konnten. Daher brachte der Sender jüngst das Genre gleich in dreifacher Form zurück. Nach "Grünberg und Kuhnt" und "Richter und Sindera" war zuletzt "K 11 - Die neuen Fälle" zu sehen. Alexandra Rietz und Michael Naseband nahmen ihre alten Rollen wieder auf und ermittelten an der Seiten von zwei neuen Kollegen. Wie früher handelte es sich ausschließlich um geskriptete Fälle, wenngleich alle Protagonisten bereits selbst im realen Polizeidienst tätig waren. Aus Quotensicht lief das "K 11"-Comeback mit Marktanteilen zwischen 5,7 und 6,9 Prozent anfangs nicht überragend, doch einmal sprangen überdurchschnittliche 9,7 Prozent heraus.

Verglichen mit so manch anderer Vorabendsendung kann Sat.1 diese Zahlen als Erfolg verbuchen - so ernst ist die Lage. Vermutlich traf der Bällchensender deshalb die Entscheidung, auch weiterhin auf "K 11" zu setzen und wiederholt seit Anfang der Woche alte Folgen der Originalserie von 2003. Somit nähert sich Sat.1 immer mehr dem kleinen Schwestersender Sat.1 Gold an. Denn dort läuft die Serie ebenfalls schon werktags ab 19.20 Uhr in Doppelfolgen. Vom einstigen Vorhaben, sich Schritt für Schritt von Scripted Realitys zu verabschieden, ist nach den zahlreichen Flops mit anderen Genres kaum noch etwas zu erkennen. "Man erntet, was man sät" oder auch "Die Geister, die man rief", könnte man sagen.

03.06.2020 - Glenn Riedmeier/TV Wunschliste
Bild: Sat.1/Willi Weber/TVNOW/Wischmeyer/Bernd-Michael Maurer/Philipp Rathmer/TVNOW/Gregorowius/Sat.1/Willi Weber


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  Trümmerhaufen Tagesprogramm: Die späte Rache des Scripted-Reality-Wahns
TV Wunschliste 03.06.20 16:24 705 
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Snake Plissken 03.06.20 17:30 512 
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Hitparadenfan 03.06.20 18:20 439 
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Hubert- 03.06.20 19:48 466 
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tomgilles 04.06.20 02:06 396 


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