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"The Masked Singer" beweist: Das TV-Lagerfeuer brennt wieder
In jüngster Zeit hört und liest man immer häufiger Phrasen wie "Ich gucke schon lange kein Fernsehen mehr" oder "Lineares Fernsehen ist tot". Gerade die Jugend habe dem "altmodischen" TV mittlerweile den Rücken gekehrt und würde sich stattdessen bei YouTube, Netflix, Instagram und Co. aufhalten. Doch ist das Schicksal des klassischen Fernsehens wirklich so besiegelt, wie gerne behauptet wird?
ProSieben hat seit sechs Wochen einen Mega-Erfolg im Programm, der auf das Gegenteil schließen lässt: Mit dem Show-Neustart "The Masked Singer" holt der Sender phänomenale Einschaltquoten. Nachdem die Musikrateshow den erfolgreichsten Start seit "The Voice of Germany" vor acht Jahren hinlegte, konnte sie sich kontinuierlich steigern. Die Demaskierung von Stefanie Hertel (TV Wunschliste berichtete) verfolgten vergangene Woche 3,16 Millionen Zuschauer - in der jungen Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen wurden phänomenale 29,0 Prozent Marktanteil erreicht - weit überdurchschnittliche Zahlen für ProSieben. Das simple Konzept geht auf: Prominente jeder Couleur treten in Ganzkörperkostümen auf und geben eine aufwendige Gesangsperformance zum Besten. Für die Zuschauer und das Rateteam gilt es, die Identität der Kandidaten anhand der Stimme zu erkennen. Das gemeinsame Rätseln, Kombinieren und Stochern im Nebel ist ein großer Spaß für alle Beteiligten, der sich am nächsten Tag auf dem Schulhof und im Büro fortsetzt (zur ausführlichen Show-Kritik). Ein enormer Erfolg war im Frühjahr auch "Let's Dance". Es handelte sich um die erfolgreichste Staffel bei RTL seit Jahren. Durchschnittlich sahen die insgesamt 13 Ausgaben 4,21 Millionen Menschen. In der jungen Zielgruppe wurden im Schnitt richtig tolle 19,6 Prozent erreicht. "The Masked Singer" und "Let's Dance" haben eines gemeinsam: Es sind Live-Eventshows, die auch live geguckt werden wollen. Diesen Formaten gelingt es noch, ein Lagerfeuer-Gemeinschaftsgefühl "wie früher" zu erzeugen. Man guckt zusammen und will gleichzeitig mit anderen den Live-Moment erleben, wenn die Maske fällt bzw. der Dancing Star gekürt wird. Diesen Zauber hat das Fernsehen heute immer noch - sofern es leidenschaftlich umgesetzt wird. Genau daran haperte es in den vergangenen Jahren zu oft. Mit mittelmäßigen Formaten war im besten Fall eben nur ein mittelmäßiger Erfolg drin. Doch es scheint ein Umdenken zu geben: Sowohl RTL als auch ProSieben haben offensichtlich erkannt, dass im Live-Faktor der große Vorteil gegenüber On-Demand-Diensten liegt. Die Live-Ausgaben von "Denn sie wissen nicht, was passiert - Die Jauch-Gottschalk-Schöneberger-Show" waren beispielsweise große Highlights. Joko und Klaas: "Ich liebe Fernsehen!" Das Entertainerduo Joko und Klaas bewies vor einigen Wochen mit zwei unterschiedlichen Aktionen ebenfalls, welche Kraft Live-Fernsehen haben kann - sofern man kreative Ideen hat und diese auch umsetzen darf(!). Einmal nutzten sie ihre gewonnenen 15 Minuten aus ihrer neuen Show "Joko & Klaas gegen ProSieben" dazu, um sozial engagierten Menschen Sendezeit zu schenken, die auf ihre Projekte aufmerksam machen konnten. Das zweite Mal gab es eine Live-Gewinnaktion in den Großstädten Köln, München, Berlin und Hamburg, bei der innerhalb von einer Viertelstunde 40.000 Euro unter glückliche Gewinner gebracht wurden (TV Wunschliste berichtete). Die Ungewissheit im Vorfeld darüber, was Joko & Klaas mit ihrer Sendezeit anstellen werden, hat zahlreiche Zuschauer dazu bewogen, pünktlich um 20.15 Uhr einzuschalten, um live dabei zu sein, wenn die Überraschung aufgelöst wird. Veränderte Sehgewohnheiten durch Netflix und Co. Unbestritten ist, dass sich die Sehgewohnheiten in den vergangenen Jahren verändert haben. Dabei ist bemerkenswert, wie schnell in vielen Haushalten Streamingdienste Einzug gehalten haben - immerhin gingen Netflix und Prime Video in Deutschland vor gerade mal fünf Jahren an den Start. Insbesondere Fans fiktionaler Serien werden bei den kostenpflichtigen Angeboten fündig und erhalten dort eine große Auswahl an internationalen Produktionen, für die im herkömmlichen Fernsehen kein Platz (mehr) ist. Serien wie "House of Cards", "Orange is the New Black", "The Man in the High Castle" oder "The Marvelous Mrs. Maisel" brachten den Anbietern großes Lob ein. Dennoch ist auch bei Netflix und Prime Video nicht alles Gold, was glänzt. Aus ihrem Dasein als Nische für Qualitätsserien treten sie immer mehr heraus und wollen nachvollziehbarerweise so viele Zielgruppen wie möglich erreichen. Eine Entwicklung von Klasse zu Masse zeichnet sich bereits ab. Dass vor allem Serienfans zu Streamingdiensten abgewandert sind, haben die klassischen Fernsehsender inzwischen erkannt und mittlerweile auch reagiert. Hochwertige Produktionen wie "Babylon Berlin", "Club der roten Bänder", "Charité", "Parfum" oder "Ku'damm 56" wären ohne den neuen Konkurrenzdruck vielleicht nie realisiert worden. Jahrelang herrschte bei deutschen Sendern eine eher abwertende Einstellung à la "Der Großteil der Zuschauer versteht komplizierte Serien nicht und will diese auch nicht." Der positive Einfluss auf die Produktion von komplexeren und anspruchsvolleren Serien ist den Streamingdiensten zugutezuhalten. Auch die Tatsache, heutzutage nicht mehr pünktlich zu einer bestimmten Uhrzeit vor dem Fernseher sitzen zu müssen, um die nächste Folge nicht zu verpassen, hatte einen massiven Einfluss auf das Sehverhalten. Die heranwachsende Generation kennt es gar nicht anders und wächst in der komfortablen Situation auf, Serien dann gucken zu können, wann und wo sie will. Dies hat allerdings auch zur Folge, dass man sich kaum noch spoilerfrei über eine Serie austauschen kann, weil nicht alle auf dem aktuellsten Stand sind, wie es früher beim linearen Konsum der Fall war. Immer mehr Nutzer fühlen sich zudem überfordert, sich aus dem immer größer werdenden Angebot "das Richtige" herauszusuchen und verbringen daher mehr Zeit im Auswahlmenü als mit einer Serie. Können Streamingdienste das Fernsehen ersetzen? Trotz dieser Entwicklung können SVoD-Angebote mitnichten das klassische Fernsehen in seiner Gänze "ersetzen". Zumindest gegenwärtig ist dies nicht der Fall. Streamingdienste haben eher den Besuch einer Videothek ersetzt. Zwar werden zunehmend auch in Deutschland Serien für Netflix, Prime Video und Co. produziert, doch Serien oder Filme alleine machen eben noch kein Vollprogramm aus. Im nonfiktionalen Bereich ist das lokale Angebot noch äußerst überschaubar. Anders gesagt: Es gibt keine eigenproduzierten Nachrichtensendungen, Samstagabendshows, Polit-Talkshows, Satiresendungen, Musikformate, Reportagen, Magazine, Vorabendquizshows - und auch kein Frühstücksfernsehen. Die zunehmende Fragmentierung des TV-Markts hatte zur Folge, dass nur noch selten die ganze Familie versammelt vor dem Fernseher sitzt, um sich eine bestimmte Sendung gemeinsam anzusehen. "Bei mir saßen Michael Schumacher, die Spice Girls, Placido Domingo und Günter Netzer zusammen auf dem Sofa. Und jeder Zuschauer hat gewusst, wer das ist. Der Opa daheim vor dem Schirm hat gewusst, wer die Spice Girls sind, und die Tochter hatte vom Domingo auch schon gehört", schwelgte Thomas Gottschalk jüngst in Erinnerungen an seine "Wetten, dass..?"-Vergangenheit. Derart generationenverbindende Sendungen, in denen etwa YouTuber auf Operntenöre treffen, existieren nicht mehr. Sehnsucht nach "Gemeinsamgucken" Dass es trotzdem nach wie vor ein Bedürfnis nach Fernsehen als Gemeinschaftserlebnis gibt, zeigt der Blick auf Twitter. Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine TV-Sendung auf Platz 1 der deutschen Twittertrends landet - ob nun "Der Bachelor", "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!", "Anne Will", "Germany's Next Topmodel", "Tatort" oder der "ZDF-Fernsehgarten" - alles wird intensiv konsumiert und kommentiert. Selbst die schon oft für tot erklärte Samstagabendshow erfreut sich bester Gesundheit. 5,14 Millionen Menschen sahen am 6. Juli "Klein gegen Groß" mit Kai Pflaume bei satten 24,6 Prozent Marktanteil. In der jungen Zielgruppe der Zuschauer zwischen 14 und 49 Jahren sprang mit 16,5 Prozent ebenfalls ein starkes Ergebnis heraus - die Zielgruppe, die angeblich nicht mehr fernsieht, schaute also eine klassische Samstagabendshow, die es angeblich nicht mehr gibt. Weitere 4,67 Millionen Zuschauer sahen währenddessen die Krimiserie "Ein starkes Team" im ZDF. Anders gesagt: Fast 10 Millionen Zuschauer alleine für Das Erste und das ZDF an einem Samstag mitten im Sommer sprechen nicht unbedingt für das baldige Ableben der alten Tante Fernsehen. Es kommt auf den Inhalt an Es scheint tatsächlich recht simpel zu sein: Wenn die Inhalte stimmen, kommen die Zuschauer. Dabei spielt es eine zweitrangige Rolle, ob ihnen diese auf klassischen oder moderneren Wegen zugänglich gemacht werden. Die Grenzen verschwimmen immer mehr und es ist Ansichtssache, was der Begriff "Fernsehen" im Jahr 2019 eigentlich alles beinhaltet. So manch junger Mensch ist der Überzeugung, er würde nicht fernsehen, wenn er sich den Livestream eines Senders im Internet ansieht. Dabei ist letztendlich nicht entscheidend, ob Bewegtbildinhalte auf dem HD-Fernseher, dem Smartphone, Tablet oder Computer konsumiert werden. Wichtig ist für die Sender lediglich, auf den unterschiedlichen Ausspielwegen präsent zu sein - und dies möglichst nutzerfreundlich und mit geringstem technischen Aufwand. Im Jahr 2018 lag die durchschnittliche tägliche Fernsehdauer der Deutschen laut AGF Videoforschung bei 217 Minuten. Damit ist sie im Vergleich zum Vorjahr leicht rückläufig, aber längst nicht so dramatisch wie gerne behauptet wird. Dabei ist nicht zu verschweigen, dass Senioren über 65 Jahre mit 335 Minuten pro Tag Spitzenreiter sind, doch selbst die klassische Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen ist noch mit 153 Minuten täglich vertreten. Ex-Late-Night-Talker Harald Schmidt blickt der Zukunft des Fernsehens daher äußerst gelassen entgegen. "Jeder zweite Deutsche ist älter als 45. Das Durchschnittsalter des ZDF-Zuschauers liegt bei 60." Dieser demografische Faktor sei nicht von der Hand zu weisen. "Ich gebe dem Fernsehen noch mindestens 20 Jahre. Ich lebe jedenfalls wahnsinnig gut davon, permanent im Fernsehen zu verkünden, dass das Fernsehen am Ende ist", so Schmidt im Interview mit der Stuttgarter Zeitung. 17.07.2019 - Glenn Riedmeier/TV Wunschliste Bild: ProSieben/Willi Weber [www.wunschliste.de]
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