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#Raabschied: Ausdruck des Endes einer ganzen TV-Ära?
Viele mögen ihn, viele können ihn nicht leiden - doch was zählt ist: jeder hat eine Meinung über Stefan Raab. Schließlich hat der TV-Entertainer mehr als zwei Jahrzehnte lang sein Unwesen im deutschen Fernsehen getrieben und mehrere Generationen begleitet. Gestern Abend verkündete Raab nun überraschend seinen Rücktritt - und zwar nicht nur etwa von "TV total", sondern aus dem TV-Geschäft. Komplett. Ab 2016 will der Fernsehmacher mit dem schier unerschöpflichen Erfindergeist nicht mehr auf der Mattscheibe stattfinden. Bereits im Jahr 1998 kündigte der Moderator in einem sehr persönlichen Interview an, "mit 50 nicht mehr der lustige Onkel im Fernsehen sein zu wollen". Er steht zu seinem Wort und setzt es nun in die Tat um. Als Stefan Raab 1993 in einem Mini-Studio beim Musiksender VIVA anfing und in der Anarcho-Sendung "Vivasion" mit pubertärem Charme über die Kelly Family und Aaron Carter witzelte, hätte wohl kaum jemand geahnt, dass er einmal zu der innovativen Kraft des deutschen Fernsehens werden würde. Doch er gab Gas: Mit "Bööörti Bööörti Vogts" machte er während der Fußball-WM 1994 penetrant auf sich aufmerksam, 1998 trat er als Produzent von Guildo Horn in Erscheinung und schnupperte erstmals "ESC"-Luft. Die Anfangsjahre von "TV total" ab 1999 waren von den Ö la Palöma Boys, "Maschendrahtzaun" und "Hol mir mal ne Flasche Bier" geprägt, 2003 ging mit der "TV total Wok-WM" das erste große Raab-Promi-Event an den Start, das viele weitere nach sich ziehen sollte. 2006 folgte der nächste Geniestreich: Als ob nichts dabei wäre, zauberte er mit "Schlag den Raab" die innovativste und spannendste Samstagabendshow der letzten Jahre aus dem Hut. Mit der qualitativ hochwertigen Castingshow "Unser Star für Oslo", aus der schließlich die "ESC"-Gewinnerin Lena Meyer-Landrut hervorging, wies er Konkurrenzformate in die Schranken. Kurzum: Raab hat so ziemlich alles erreicht und ausprobiert, was im Unterhaltungsgenre möglich ist. Dass er sich jetzt in seinen wohlverdienten Ruhestand zurückziehen möchte, ist daher nur verständlich. Doch für die TV-Branche stellt Raabs Rückzug einen herben Schlag, ja nahezu ein Erdbeben dar, dessen Ausmaße vermutlich noch gar nicht greifbar sind. Nicht zuletzt verliert ProSieben eines seiner wenigen verbliebenen und gleichzeitig wichtigsten Sendergesichter. Kein anderer Fernsehmacher ist derart untrennbar mit einem bestimmten Kanal verbunden. Die Lücke, die Raab bei ProSieben hinterlässt, ist groß und wird wohl kaum mit bloßen Sitcom-Dauerschleifen auszugleichen sein. Ob der Münchner Sender ab 2016 noch mehr auf Joko und Klaas setzen wird, obwohl deren wöchentliche Comedyshow "Circus HalliGalli" zuletzt sowohl inhaltlich als auch aus Quotensicht hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist? Wahrscheinlicher ist eher, dass sich ProSieben gar nicht erst an einer neuen täglichen Late-Night-Show versuchen wird, sondern den "TV total"-Programmplatz mit Serien und günstigem Füllmaterial bestücken wird - so wie es Sat.1 seit dem Ende der "Harald Schmidt Show" vormacht. Raabs Ankündigung seines Rücktritts kommt zu einer Zeit, in der sich die Fernsehbranche insgesamt in einem großen Umbruch befindet. Das noch gar nicht so lange zurückliegende Ende von "Wetten, dass..?" und der "Harald Schmidt Show", sowie die bevorstehende Abschiede von "Domian" und "Zimmer frei!" stellen gemeinsam mit Raabs Rückzug ein Gebilde einer allmählich verbleichenden TV-Ära dar. Innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums müssen sich die Zuschauer von zahlreichen Traditionsformaten verabschieden, mit denen viele Erinnerungen verbunden sind. Zufall oder Ausdruck eines Zeitgeists? Die Abschiede würden vermutlich nicht so schwer fallen, wenn es Aussicht auf adäquaten Ersatz geben würde, doch da herrscht überwiegend Ebbe. Hinzu kommt, dass das Fernsehen gerade für die junge Generation gar keinen allzu großen Stellenwert mehr besitzt. Video-on-Demand-Anbieter wie Netflix spielen eine immer wichtigere Rolle und laufen dem linearen Fernsehen im Bereich fiktionaler Serien allmählich den Rang ab. Die große Stärke des klassischen TV besteht im Live-Erlebnis. Doch wenn nicht gerade eine Fußball-WM stattfindet, beschränken sich die Must-See-Formate "über die man spricht" mittlerweile auf den "Tatort", "Ich bin ein Star - Holt mich hier raus!" und den "Eurovision Song Contest". Die größte Gefahr für das Fernsehen heutzutage besteht darin, dass es sich in Beliebigkeit verliert und dem Zuschauer gleichgültig wird. Das Fernsehen hat es großteils verlernt, sein Publikum so richtig in den Bann zu ziehen. Seit einigen Jahren schaffen es kaum noch überraschende, frische Formate und Shows auf den Bildschirm. Stattdessen setzen die Sender trotz erheblicher Quoteneinbußen immer noch auf die x-ten Aufgüsse von Castingshows und Doku-Soaps. Mangels Mut und Ideenreichtum wird die kränkelnde Kuh so lange gemolken, bis sie endgültig keine Milch mehr gibt. Unter diesen Gesichtspunkten wird noch klarer, was der Verlust des kreativen Kopfes Raab für die Zukunft des deutschen Fernsehens eigentlich bedeutet. 18.06.2015 - Glenn Riedmeier/wunschliste.de Bild: ProSieben/Willi Weber [www.wunschliste.de] In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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