Um da mal den noch größeren Bogen zu spannen, bin ich da der Auffassung, dass man sich bisher einer gewaltigen Fehleinschätzung hingegeben hat.
In den 90ern sind noch viele Menschen im Westen davon ausgegangen, dass die westlichen Werte der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Menschenrechte und des Humanismus so weit aus sich heraus Strahlkraft entwickeln würden, dass sich religiös geprägte Gesellschaften fast schon zwangsläufig liberalisieren würden, indem sie sich in diese Richtung entwickeln, weil diese Freiheiten attraktiver erscheinen müssen.
Diese Vorstellung müsste spätestens mit dem 11. September 2001 beerdigt worden sein.
Der organisierten Religion schaute man dabei bestenfalls auf die Finger, wenn sie sich klar als Sekte erwies. Die zwei großen Konfessionen standen dabei bei uns fast schon unter Generalamnestie, weil sie auch ganz gut die Möglichkeit nutzen konnten, das Machtvakuum nach dem Zweiten Weltkrieg und der Neuschöpfung der Bundesrepublik für sich zu nutzen.
Dass weder in Japan der Kopf des Tennos rollte, noch in Deutschland die Kirchen in ihrem Einfluss gestutzt wurden, würde ich auf die Zurückhaltung der Amerikaner in religiösen Fragen zurückführen. Die dürften auch gewusst haben, dass der Klerus im Dritten Reich genauso wenig eine persil-weiße Weste hatte, wie der Tenno als Quasi-Gottgestalt und religiöser Führer.
Das rächt sich meiner Meinung nach bis heute.
Dabei war die Möglichkeit eines religiösen Rollbacks eigentlich schon viel früher sichtbar, mit der Iranischen Revolution, der Fundamentalisierung breiter Bevölkerungsschichten in Ägypten, und wer hat schon gewusst, dass die Türkei in den 70ern noch mit einer der größten Softcore-Porno-Produzentenstandorte in der Welt war?
Stattdessen sehen wir hier mehr Burkas und Kopftücher, und an der TU Dortmund müssen sich Biologieprofs damit beschäftigen, dass einem signifikanten Teil der Studenten religiös geprägte, kreationistische Vorstellungen im Kopf herum spuken, siehe hier: [
www.deutschlandfunk.de]
Ja, da hatte man noch vor wenigen Jahren in Richtung Amerika geschielt, und die verrückten Religiösen dort bestaunt - wie Affen im Zoo, als Panoptikum des religiösen Wahnsinns, das einen aus der Außensicht in Dokus nicht betrifft.
Dass das auch bei uns zum Thema würde, Kinder von irgendwelchen Evangelikalen oder Muslimen nicht mehr an den staatlichen Schulen unterrichtet werden sollen, damit sie nichts vom "teuflischen Darwinismus" gelehrt bekommen, konvertierte deutsche Zausel, die sich kleiden, wie sie sich einen Moslem vorstellen, mit Koranverteilung in der Fußgängerzone und Scharia-Polizei - hätte ich so vor ein paar Jahren auch nicht erahnt.
Selbst wenn das alles die Ausreißer, die radikalen oder fundamentalen Kleingruppierungen sein sollten, schwimmen die immer noch im Fahrwasser der gemäßigten Religion, und da schwimmen sie ohne großen Widerstand.
Die Aufklärung hat sich angesichts der Entwicklungen der letzten Jahrzehnte eben nicht als Selbstläufer erwiesen.
Den Schluss, den man daraus ziehen muss, sehe ich in einer vehementeren Einforderung der oben genannten Grundprinzipien von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten - von mir aus auch in dem Dreiklang, wie er in unserer Nationalhymne verwendet wird.
Das darf man in Deutschland für mein Empfinden durchaus auch als Basiskonsens einfordern - nicht nur von den "Bio-Deutschen" (mir fällt dafür gerade kein besseres Wort ein).
Darüber hinaus sollten wir heute nicht nur "mehr Demokratie wagen", sondern auch "mehr Säkularismus wagen", denn so gäbe es keine Diskussion um eingeblendete Halbmonde, weil sich so öffentlich-rechtliche Sender erst keine einseitige Bevorzugung oder Vorteilsname leisten könnten.
Dass das mit einem Konservativismus, der in unserem Land traditionell an das Christentum andockt, schwer bis unmöglich realisierbar ist, sollte auf der Hand liegen. Da braucht man auch nicht nur auf die Parteien mit dem "C" schauen, um die Verfilzungen mit der Kirche und dem Kirchenlobbyismus zu erkennen.
Deshalb wird es sich in Deutschland in den nächsten auch eher verschärfen.