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Re: Würdet ihr von Angela Merkel einen Gebrauchtwagen kaufen? (Keine Politische Diskussion)
Ich weiß um die Verkaufstricks, rhetorischen Kniffe und vielleicht auch Strategien der Manipulation im persönlichen Gespräch.
Das muss nicht heißen, dass man mich im schwachen Moment nicht vielleicht auch bezirzen und übertölpeln könnte. Dennoch würde ich behaupten, dass ich in solchen Fragen immer noch auf die harten Fakten schaue, mich vor dem Verkaufsgespräch und auch nachher informiere, denn ich unterschreibe niemals etwas einfach aus der Hüfte heraus. Was Politiker und ihre Reden betrifft, so bin ich seit vielen Jahren schon der Typ, der auch hier versucht zu ergründen, wie die Wurst gemacht wird. Ich schaue mir auf Youtube viele politische Reden und Diskussionsrunden an, um so manchen Kniff erkennen zu können. Für gewöhnlich lasse ich mich also weder von tollen Reden, der Inszenierung, noch der Aura von Autorität beeindrucken, die oft genug auch wieder inszeniert ist. Hennes Bender hatte in einem seiner Bühnenprogramme einmal sinngemäß eine Geschichte aus Bochum zum Besten gegeben, in der der Dialog ungefähr folgendermaßen geht: "Guck mal, dahinten ist der Herbert Grönemeyer!" - "Na und?! Der geht auch nur kacken!" Ein ähnliches Verhältnis habe ich meistens auch zu Autoritäten, aber auch Verkäufern. Es gibt sicherlich Leute, die ich aufgrund ihres Intellekts in der Tat und ihrer Leistungen bewundere und anerkenne. Aber so etwas wie "Star struck" bin ich dann nicht. Der Witz ist eigentlich eher, dass ich bei außerordentlicher äußerer Attraktivität und Schönheit ziemlich gelähmt bin. Ich versuche das dann immer etwas zu überspielen und mich dann zuweilen tatsächlich mit meinen Gefühlen zu erklären - zumindest bei Frauen traue ich mich das manchmal. Das sorgt für "spannende" Reaktionen, in einer interessanten Bandbreite - wobei ich noch besonders schräg finde, wenn Frauen das als direkten Baggerversuch begreifen, denn nachdem ich so etwas kommuniziert habe, lasse ich auch direkt ab. Wie dem auch sei, es gibt Leute, die tatsächlich so etwas wie eine Ausstrahlung einer verbindlichen, "natürlichen" Autorität haben. Die gibt es aber für mein Empfinden äußerst selten. Man kann sich bestimmt gewisse Dinge aneignen, mit seinen Aufgaben in mehr Autorität wachsen, die einen an vielen Stellen auch direkt zur Autorität macht. Natürliches Charisma und eine einnehmende Persönlichkeit hingegen sind nur zu einem gewissen Grade zu lernen und zu inszenieren. In der gegenwärtigen Politik habe ich an der Spitze bisher keinen Politiker gesehen, der diese natürliche Autorität ausstrahlt. Vielleicht waren das mal solche Leute wie Helmut Schmidt oder Kohl, keine Ahnung, denn die habe ich dann doch nie live gesehen. Trotz des pastoralen Tons und Singsangs empfinde Martin Luther King als charismatisch, wie auch Malcolm X, als zwei prominente Figuren der Bürgerrechtsbewegung. Letzterem hätte ich ein längeres Leben gegönnt, damit er vom Demagogischen vollends weggekommen wäre. Alles Charismatiker, die ich in der gegenwärtigen deutschen Politik nicht sehe. Gysi beispielsweise halte ich für den begabtesten Redner des Bundestages und exzellenten Diskussionsteilnehmer. Ich finde ihn sogar sympathisch - aber keinesfalls charismatisch. Christian Lindner ist ein guter Redner und Debattant, von dem man einige rhetorische Kniffe lernen kann - aber auch hier: Charisma, Fehlanzeige. Zum "Schulz-Effekt" bleibt mir folgendes zu sagen: Hier sehe ich mehrere Ebenen, die eigentlich ein widersprüchliches Bild abgeben, oder gar nicht zusammenpassen. Da wäre zunächst das Internet-Phänomen Schulz, dass sich unabhängig von allen Werbebemühungen der Partei zu einem sogenannten "Meme" entwickelt hat, bei dem man einige Parallelen zu Chuck Norris und dem amerikanischen Präsidentenwahlkampf feststellen muss. Keimzelle des Ganzen war reddit.com. Erst als die Medien dieses Phänomen aufnahmen, kam der "Schulzzug" gewissermaßen ins Rollen, was dann auch die SPD motivierte, mit alternativen Handlungsweisen in der Wahlwerbung etwas halbherzig mitzumischen. Nach meinen eigenen Beobachtungen war der Enthusiasmus in der SPD selbst weniger groß, als es in den Medien dargestellt wurde. In den vergangenen Wochen hatte man dann seitens der Führung auch zurückgerudert, weil man wohl auch die Gefahr sah, den Kanzlerkandidaten in den Landtagswahlkämpfen zu verheizen. Der NRW-Wahlkampf war programmatisch wirklich auf die Sachthemen NRWs bezogen, die man in den Vordergrund rücken wollte. Möglicherweise wollte man damit auf eine Bundespolitik reagieren, die tatsächlich noch zu wenig ausformuliert wurde. Es bleibt jedem belassen, ob das nun als positiv oder negativ zu bewerten ist, aber ich habe Martin Schulz in den vergangenen Monaten zweimal gesehen. Ich halte Schulz für keine besonders charismatische Person, die Kraft ihrer Ausstrahlung und mit rhetorischem Geschick besticht. Wenn jemand auf Schulz in den vergangenen Monaten angesprungen ist, dann nicht wegen seiner Person, sondern dem, was die öffentliche Person ideell transportiert. Dazu muss man wohl erst einmal grundsätzlich empfänglich für die sozialdemokratischen Grundwerte sein, von denen Gerechtigkeit, Soziales, Freiheit und Solidarität wohl von Schulz in den Fokus gerückt wurden. Anscheinend war es tatsächlich notwendig, solche grundsätzlichen Dinge anzusprechen. Problematisch war danach das "und dann...", was eigentlich daraus folgen sollte. Hier blieb man deutlich zu vage, und das wohl auch bewusst, denn programmatisch wird überhaupt erst etwas im Juni auf dem Bundesparteitag beschlossen, und was Schulz gewissermaßen an Konkretem "im Köcher" hat, ist nicht wahnsinnig viel, sondern mehr das, was ohnehin seit langem schon durch die SPD-Führung geistert und niemanden hinterm Ofen hervor lockt. Hier haben wir eigentlich ein Problem der Erwartungshaltung, die entweder nicht bedient werden kann, oder auch nicht bedient werden soll. Der Schulzhype, der auf einfachen Allgemeinplätzen basierte, die konsensfähig, aber vage sind, hat in signifikanten Teilen der Bevölkerung eine Erwartungshaltung erzeugt. Speziell in meiner Region haben die Leute bis weit in die Mittelschicht hinein die Schnauze voll von Agenda und Hartz, sehen ihre Lebensleistung gefährdet, weil sie auf Sozialleistungsniveau dahin dümpeln und jetzt schon keine Chance sehen, dies irgendwie drehen zu können. Die fühlen sich von einer SPD eher verschaukelt, die darauf nicht eingeht, gerade weil sie die Agenda und die Hartz-Gesetze eingeführt hatten. Zumindest im Ruhrgebiet hängt die Gerechtigkeitsfrage genau daran, wie allerdings auch an Ängsten vor einem Verdrängungswettbewerb, in den man sich mit den Flüchtlingen genötigt sieht. Nicht umsonst kommt es zur einer Art Polarisation zwischen linken Wählern (SPD/Linke) und AfD-Wählern genau in den Wahlbezirken, die eben eine soziale Schieflage zu beklagen haben. Hier rächt es sich, dass die SPD darauf genau Null Antworten hat. Schlimmer noch: prominente Köpfe der Partei auf Landes- und Bundesebene ignorieren es entweder, wenn die Stichworte "Hartz" und "Agenda" nur fallen, oder sie gucken wie eine kackende Katze und lenken vom Thema ab. Schulz ist da keine Ausnahme, wie ich feststellen musste, sondern reiht sich in das Verhalten ein, das sie alle an den Tag legen. Mindestens auf Bundesebene würde ich der SPD-Führung attestieren, dass sie bis jetzt noch gar nicht begriffen haben, was sie eigentlich überhaupt mit Schulz angetreten hatten. Wenn sie das gewusst hätten, hätten sie auch klar anders handeln müssen. Tatsächlich sehe ich hier nicht nur die Gefahr, mit falschen Versprechen Leute zum Wählen zu motivieren, die überhaupt nicht eingehalten werden, sondern die Gefahr, dass Erwartungen geweckt werden, die man nicht erfüllen will und damit riskiert, weitere Teile der Wähler vom Vertrauen in die Demokratie zu entkoppeln. Die sind dann für jegliche Wahlen verloren, und wer sich dermaßen vom gesamten System im Stich gelassen fühlt, kommt mitunter auf merkwürdige Ideen und eine geistige Haltung, die für die Gesellschaft einfach Gift sind. Das erlebe ich in meiner Stadt - oftmals in Kleinigkeiten - aber täglich. Ökonomisch betrachtet gab es in den vergangenen 100 Jahren bestimmt schlechtere Zeiten. Von Krieg sind wir auch nicht bedroht. Mittleweile bin ich aber der Meinung, dass Hartz und Agenda in den vergangenen Jahren etwas viel verheerenderes bewirkt hat, nämlich das zu vielen Leuten nachhaltig die Perspektive zerstört wurde, mit Optimismus in eine Zukunft zu blicken, in der man aus sich und seiner Umgebung mehr machen kann. Manchmal beschleicht mich das Gefühl, dass in Deutschland in den Endphase des Krieges und in den Trümmerjahren unter den Leuten weniger Fatalismus und Untergangsstimmung herrschten, als heute, und das hat die SPD gemacht, und wenn sie von den Leuten gewählt werden will, muss sie sich klar davon distanzieren und glaubwürdig machen, dass sie sich daran setzt, für die Menschen wirklich etwas zum Positiven zu bewirken. Die Zukunft der SPD hängt davon ab, wie weit sich linke Kräfte durchsetzen können, die eigentlich noch in der Basis die breitere Unterstützung besitzen. Dieser Clip ist schon mindestens ein Jahr alt, aber er passt zur jetzigen Situation immer noch wie Ar... auf Eimer: Würde ich von Merkel oder anderen Politikern einen Gebrauchtwagen kaufen? Sicher würde ich das, aber auch nur, weil ich das Produkt nicht vom Verkäufer abhängig mache. In diesem Forum dürfen leider nur registrierte Teilnehmer schreiben.
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