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Re: Typisch deutsch, dies und das
Ich sammle das jetzt mal hierunter, weil es doch gleich mehrere Leute beschäftigt und ich vorher nicht dezidierter darauf eingehen wollte:
Für mich waren Hartz und Agenda lange ein rotes Tuch und sind es weiterhin. Ich habe daraufhin die SPD nicht mehr gewählt und äußerst kritisch betrachtet. Ohne jetzt tatsächlich werten zu wollen, wie es um diese Partei steht, muss man zunächst einmal feststellen, dass Schulz grundsätzliche Fragen der Gerechtigkeit, Solidarität, Wertschätzung und Achtung für Menschen aufwirft, von denen ich in der Politik ansonsten schon lange nicht mehr gehört habe. Das wird mittlerweile schon als zu beliebig kritisiert, was ich auch verstehen kann, trifft aber ehrlich gesagt genau meinen Nerv. Dass Schulz mit seiner Partei dann irgendwann auch konkreter werden muss, steht außer Frage. Trotzdem triggern mich die ganz großen Fragen erst einmal enorm. Bis zur Mitte des vergangenen Jahres hin hatte ich die SPD eigentlich auch bereits abgeschrieben. Allerdings zeichnete sich zu dem Zeitpunkt bereits ab, dass eine Linke innerhalb der Partei sich langsam Gehör verschaffen konnte, stark gestützt von den ohnehin immer linker denkenden Jusos begann sich etwas zu verändern, das ich von Außen betrachtet nicht unbedingt einschätzen konnte. Gabriels angekündigter Abtritt sollte den Stein ins Rollen bringen. Nach meiner Einschätzung gibt es jetzt bereits einen Richtungskampf der Flügel in der SPD, bei dem das Ergebnis unterm Strich noch nicht feststeht, bis Ende Juni das Parteiprogramm verabschiedet ist. Von den Leuten hier vor Ort weiß ich, dass die Basis ohnehin fast unisono von Beginn an gegen Agenda und Hartz war. Der Witz ist eigentlich, dass Schulz im Prinzip sogar von manchem Hartz-Befürworter zum Kandidaten gemacht wurde, aber gerade mit Schulz einen Geist aus der Flasche gelassen haben, der plötzlich eine SPD-Linke dermaßen beflügelte, jetzt auch massiv Forderungen zu stellen. Der Druck der potenziellen Wähler ist vielleicht sogar noch zunehmend größer als aus der Partei selbst. Wer also in Zukunft wieder eine soziale, linkere Politik sehen will, der muss irgendwie Druck machen - in der Partei, indem er vielleicht in irgendeiner Form die SPD unterstützt, aber auch Forderungen stellt, aber auch wahrscheinlich, indem er die Stellung der Linkspartei stärkt, die der SPD Druck unter dem Hintern macht, mit dem sich die Partei-Linke durchsetzen kann. Was ich nur bei all den Entwicklungen bisher behaupten würde ist, dass Schulz in irgendeiner Form Menschen wachgerüttelt hat, die man gar nicht erwartet hätte. Es ist ja nicht nur so, dass die SPD einen ordentlichen Mitgliederzuwachs zu verzeichnen hätte - mindestens von der FDP hat das Lindner medial auch schon ausgeschlachtet, dass auch seine Partei Zuwachs hat. Das meine ich damit, dass Schulz etwas bewegt, und zwar für die Demokratie an sich. Die ganze Entwicklung könnte sogar einige desillusionierten Wähler wieder an die Wahurne bringen, die bisher aus Frust und einem Mangel an Vertrauen in die Politik gar nicht mehr wählen gegangen sind. Die größte Gefahr besteht aber darin, dass sich nach der Wahl noch deutlich mehr Leute abwenden könnten, wenn insbesondere die SPD dann auch nicht abliefert und eine sozialere Politik macht. Weiter wie bisher wird nach dieser Wahl meiner Meinung nach nicht mehr gehen. Ich fürchte nämlich, dass damit unsere Demokratie konkret in Gefahr wäre. Das Misstrauen gegenüber der Politik und das Schwinden des Vertrauens in die Demokratie ist jetzt schon gewaltig und zieht durch sämtliche gesellschaftliche Schichten und Bildungsstände. Sobald sich die Leute nach der Wahl von der SPD verschaukelt fühlen würden, sehe ich nicht nur den Stellenwert der SPD in Gefahr, die in ungeahnte Tiefen abschmieren würde und wahrscheinlich auch die nächste größere Austrittswelle beklagen dürfte. Ich sehe hier wirklich die Demokratie flöten gehen, weil sie nur funktionieren kann, wenn es ausreichend Leute gibt, die auf die Demokratie vertrauen und sie in verschiedenen Formen stützen. Brechen immer weitere Kreise weg, für die das noch gegeben ist, dann hat die Demokratie versagt. Ich hoffe, dass das ausreichend Akteuren mit Einfluss in der SPD auch wirklich bewusst ist, denn nach meiner Einschätzung reicht zu vielen Leuten jetzt schon nicht, was Nahles und Schulz zaghaft an konkreter Politik ausspucken. Die wollen mehr. Interessant ist in dem Zusammenhang, dass man die Erwähnung von "Hartz" und "Agenda" oft vermeidet, und es wird auch betreten geguckt, als hätte einer das berühmte "F-Wort" gerufen. Denen scheint also zumindest bewusst zu sein, dass allein schon die Begrifflichkeiten um Schröders Sozialabbau einfach verbrannt sind. Sich aber um die Ausdrücke zu drücken, aber nicht deutliche Veränderungen vorzunehmen, wird von den Leuten vielleicht zum jetzigen Zeitpunkt in der Masse schon gar nicht mehr toleriert. Der Druck auf die SPD ist deshalb meiner Meinung nach immens groß. Dieses Thema wurde beendet. Eine Antwort ist daher nicht möglich.
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