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Re: Typisch deutsch, dies und das
Danke für die Resonanz - ist ja angesichts der Ausführlichkeit auch nicht unbedingt selbstverständlich. Ich stimme allen Einwänden, Präzisierungen und Ergänzungen zu.
Auf Bohmte bin ich bereits vor ein paar Jahren gestoßen, als ich mich aus Spaß mit alternativer Verkehrsplanung und Stadtplanung beschäftigt hatte. Die Niederländer scheinen da etwas die Vorreiter zu sein und Bohmtes Idee basiert wohl auf niederländischen Konzepten. Die Idee finde ich spannend und mich würde interessieren, in welchem konkreten Umfeld sie realisierbar sein könnte. Die Größe der Gemeinde, des Dorfs, Stadt - was auch immer - scheint da schon ein Faktor zu sein, und eine hochfrequentierte Straße mit viel Durchgangs- und Transitverkehr ist vielleicht auch problematisch. Aber ich finde die ganze Angelegenheit so simpel wie reizvoll. Wie man dort sieht, ist das auch gleichzeitig mit dem Rückbau der Bürgersteige verbunden. Prinzipiell könnte das sogar als großzügiger wahrgenommener Raum für alle gedeutet werden, und das ist vielleicht der eigentliche positive Effekt. Trotzdem kann ich mir das bestenfalls als Insellösung vorstellen. Ich hätte allerdings noch folgenden Einwand bezüglich der Neid- oder auch Gerechtigkeitsfrage: Dem Sozialismus wir polemisch auch immer Gleichmacherei vorgeworfen. Ich denke, dass das ein Fehlverständnis ist. Ich bin bestimmt kein Fan der "realen Versuche", Marxismus oder gar Marxismus/Leninismus als unumstößliche Doktrin feiere ich bestimmt auch nicht. Dennoch sehe ich, dass es im Kern um gleiche, gerechte Grundbedingungen geht, das Beste aus seinen Fähigkeiten und seinem Leben machen zu können und dabei die Extreme von Arm und Reich zu verhindern. Im Prinzip das, was mit "Égalité" schon Teil der Französischen Revolution war, vielleicht auch die Art egalitärer Liberalismus, die John Rawls vertritt. Völlige Gleichmacherei gab es nicht einmal in der DDR. Ich denke ehrlich gesagt nicht einmal, dass die großen Denkfehler der DDR in der Sozialethik bestanden, sondern viel stärker in der Unterdrückung, der Bespitzelung, den undemokratischen Verhältnissen, der Planwirtschaft, der Verfilzung von Staatsorganen und Parteiorganisation, dem ganzen Batzen an "Betonideologie", die dort unantastbar war. Ich mache mir in letzter Zeit doch zunehmend häufiger wieder Gedanken zu den "großen Fragen", wie unsere Gesellschaft idealerweise aussehen soll, welches Bild vom Menschen wir überhaupt vertreten, welches wir vertreten sollten. Ich bin da schon mit der Linken, wenn sie sagt, dass der Kapitalismus als Modell bei uns gescheitert ist. Dafür gibt es tatsächlich zu viel Ungleichheit und Ungerechtigkeit, die man eigentlich abstellen könnte. Das wäre dann aber nur die halbe Wahrheit, weil natürlich auch ein doktrinärer Kommunismus/Sozialismus Mist ist. Am Ende läuft es für mich auch soziale Marktwirtschaft hinaus, die ihrem Namen auch wieder gerecht wird. "Sozial ist, was Arbeit schafft" und ähnliche Sprüche halte ich für Grütze, derer ich langsam überdrüssig bin. Hier bewegt sich einfach zu wenig, und ich nehme den kommenden Bundestagswahlkampf auch zum Anlass, mich selbst auf meine Grundwerte abzuklopfen, wofür ich eigentlich stehe und wofür ich stehen will. Das läuft in meiner Grundhaltung auf eine Tendenz hinaus, die sich mit Sicherheit nicht fundamental verändern wird. Es wäre jetzt Quatsch für mich, zu behaupten, dass ich im Herbst zum CDU-Wähler wäre, aber diese kommende Bundestagswahl scheint mir doch ein willkommener Anlass dafür zu sein, für sich selbst die grundlegenden Fragen zu stellen und Antworten zu finden, egal wohin einen das führen mag - mit der Einschränkung der für mich offensichtlichen Problemmacher. Ich bin den ganzen Hass und die Häme und die Ellenbogen des Rechtspopulismus und denen darüber hinaus einfach komplett satt. Aber ich befürchte, denen wird man nur den Wind aus den Segeln nehmen können, indem man wirklich eine bessere, gerechtere Gesellschaft schafft. Wer immer am Ende des Jahres die Regierung bildet, wird das einfach abliefern müssen. Ich befürchte, dass wir ansonsten wirklich größere Teile der Gesellschaft für die Demokratie endgültig verlieren werden. Man kann zu Schulz stehen wie man will, irgendwie hat das Ganze dann ausgelöst, über solche Fragen wieder nachzudenken. Aber diejenigen, die jetzt vielleicht noch einmal wählen gehen werden, um "denen da oben" eine letzte Chance zu geben, dürfen nicht mehr vergrault werden, denn die werden ansonsten komplett verloren - nicht einmal, weil sie jetzt den nächsten Führer wählen werden, aber weil sie sich nicht mehr als Teil der Demokratie begreifen und noch Vertrauen darin haben, dass das System funktioniert. Letzteres bemerke ich nämlich nicht bei den frustrierten, den geschassten, gesellschaftlich abgekanzelten Leuten, oder bei den Freunden der Rechtspopulisten, sondern längst in Kreisen, in denen man es ansonsten gar nicht vermuten würde. Das zieht sich durch die komplette Gesellschaft, und das macht mir Sorgen. Ich weiß nicht, ob das jetzt schon Off Topic ist, oder tatsächlich auch "typisch Deutsch" in der gegenwärtigen politischen Großwetterlage ist. Interessant ist hier vielleicht auch, dass es ziemlich ähnliche Entwicklungen auch bei unseren europäischen Nachbarn zu beobachten gibt, bei uns aber irgendwie mit zeitlicher Verzögerung ankommt, dafür aber dann mit einem richtigen Kracher gleich die ganz großen Grundsatzfragen wieder gestellt werden. Ist doch komisch, denn auffällig ist in der deutschen Geschichte dann schon, dass wir hier im Zentrum der Reformation leben, aber auch eine hohe Dichte an relevanten Philosophen haben. Ist das dann vielleicht auch schon "typisch deutsch", obwohl es oft genug keinerlei Relevanz mehr zu haben scheint? Ich weiß es nicht. Fragen über Fragen... Nächstes Klischee, welches ich eigentlich in den Raum werfen wollen würde: Gerade im Internet scheint es mir deutlich zu werden, dass sich Deutsche fasst schon versessen damit beschäftigen, wie sie in der Welt, aus der Außensicht, von anderen Menschen, aus anderen Nationen wahrgenommen werden. Die Menschen aus anderen Ländern interessiert das vielleicht auch, aber nach meiner subjektiven Wahrnehmung sind "die Deutschen" geradezu fixiert darauf. Ob es an einem offensichtlichen Mangel an Popularität in der jüngeren Vergangenheit liegt? Ich hoffe, dass ich hier nicht gleich wieder zu viele "Fässer" aufmache, aber das bewegt mich gegenwärtig einfach. Dieses Thema wurde beendet. Eine Antwort ist daher nicht möglich.
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