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TV-Kritik: "Marvel's Iron Fist"
geschrieben von: TV Wunschliste, 20.03.17 16:21
Zu Beginn schlurft Danny Rand fusselbärtig, ungewaschen und barfuß in die mondän glitzernde Hochhauszentrale des von seinem Vater gegründeten Konzerns: Rand Enterprises. Als man den jungen Mann, Typ abgebrannter Backpacker, nachvollziehbar abweist, beginnt er allerdings, sich zu wehren: ein bisschen Klammern, ein bisschen Treten und Schubsen. Danny Rand erledigt das im Tempo des Bezahlvorgangs an einer Supermarktkasse. Die Kamera schaut ungerührt zu, der Schnitt bemüht sich gar nicht erst um Dynamik, und die Gegner, diverse bullige Security-Guards, fallen einer nach dem anderen um. Danny Rand besiegt sie und fährt anschließend im Aufzug nach oben. Ein frecher Bub entert die Chefetage.

Man kann zu dieser Szene prima Kamillentee trinken oder die Katze streicheln. Aber ist das nicht ein Missverständnis? Sollte dieses Opening nicht eigentlich ganz aufregend sein? Immerhin handelt es sich bei Danny Rand um "Marvel's Iron Fist", den in zig Martial Arts bewanderten Comic-Superhelden und obendrein Mitglied im New Yorker Heldenquartett der "Defenders". Seine Kollegen Daredevil, Jessica Jones und Luke Cage sind mit ihren eigenen Serien bereits im (film- und serienübergreifend auf Continuity setzenden) Marvel Cinematic Universe (MCU) platziert worden, und bevor demnächst die erste "The Defenders"-Staffel alle Helden zusammenrührt, muss jetzt also schnell noch Danny Rand eingeführt und abgehakt werden. Sehr pflichtschuldig wirkt das Ergebnis, zumindest den ersten Folgen nach zu urteilen, von denen wie üblich 13 gleichzeitig verfügbar gemacht wurden. Unter Marvels bisherigen Netflix-Serien ist "Iron Fist" die schwächste.

Die eingangs erwähnte, so achselzuckend indifferent inszenierte Prügelei ist dafür ein treffendes Indiz. Wenn eine derart laue Szene als Einstieg in eine neue Superheldenserie verkauft wird, muss etwas schiefgelaufen sein. Schließlich gilt die kampfsportversierte "Iron Fist", 1974 als Figur erfunden von Roy Thomas und Gil Kane, unter Fans als so etwas wie die in die Marvel-Welt hinübergemorphte Hommage an die Kung-Fu-Filme jener Zeit, garniert mit all dem daraus bekannten mythischen Hokuspokus. Davon ist kaum etwas zu spüren in dem, was Chef-Autor Scott Buck (Produzent und Autor zahlreicher "Dexter"-Folgen) in den ersten Folgen vorlegt.

Finn Jones
Danny Rand (Finn Jones) lässt die Fäuste sprechen

Es gibt noch einen zweiten, ähnlich enttäuschenden Fight in der Pilotepisode. Danny Rand wird da erneut von den Security-Leuten der Rand Enterprises verfolgt. Er versteckt sich in einer Menschengruppe, die das chinesische Neujahrsfest begeht, und obwohl Regisseur John Dahl, ein anerkannter Neo-Noir-Experte ("Die letzte Verführung"), da inmitten von Seifenblasen und Leuchtstäben erstmals eine Ahnung echter Comic-Poesie heraufbeschwören kann, endet die Szene völlig unlogisch: "Wer hat dich geschickt?", fragt Danny Rand den von ihm niedergerungenen Schergen, dessen Dienstherr ihm am Anfang der Szene noch bekannt war. Das ist einfach schlecht geschrieben, und auch sonst haben die Macher Mühe, den richtigen Ton zu treffen. "Iron Fist" fehlt die pessimistische Abgründigkeit von "Daredevil", und auch die Coolness von "Jessica Jones" und "Luke Cage" geht ihr ab. Das Problematischste aber: Man wird das Gefühl nicht los, dass Buck nicht wirklich wusste, wovon er eigentlich erzählen wollte. Von einem Identitätskonflikt? Von der korrupten Welt des Big Business?

Während die bisherigen Netflix-Marvels in eher schmuddeligen Vierteln New Yorks angesiedelt waren, in Harlem und Hell's Kitchen, geht es diesmal an die Upper East Side. Seit Wendell Rand, der Boss der Rand Enterprises, samt Gattin vor fünfzehn Jahren bei einem Flugzeugabsturz im Himalaya ums Leben kam, wurde das Unternehmen von Wendells Geschäftspartner Harold Meachum geführt. Der aber starb an Krebs. Seither leiten Meachums Kinder Ward (Tom Pelphrey, "Banshee") und Joy (Jessica Stroup, "90210") die Firma, die in dubiose Pharma-Deals verwickelt zu sein scheint und gerade nach China expandiert. Danny Rand ist Wendell Rands Sohn und als solcher bei dem Flugzeugabsturz angeblich ebenfalls ums Leben gekommen - weshalb dem Barfuß-Prügler nun niemand glauben will, dass er tatsächlich dieser tragisch verschollene Danny ist. Die aalglatten Geschäftsleute Ward und Joy, einst Dannys Kindheitsfreunde, wollen das vielleicht auch ganz bewusst nicht glauben, da ein lebender Danny Anspruch auf Dollar-Milliarden und auch die Unternehmensleitung anmelden dürfte. Kein Wunder, dass sich beide von dem Zauselbart bedroht fühlen.

Die Pilotepisode schleppt sich erschreckend planlos dahin. Von Moves, die ihn als Superhelden qualifizieren würden, gibt es kaum etwas zu sehen. Finn Jones (bekannt geworden als Blumenritter Loras Tyrell in "Game of Thrones") spielt Danny obendrein so arglos-naiv, als sei er völlig ungeplant ins Geschehen hineingestolpert: Genau wie die Zuschauer scheint er sich permanent zu fragen, warum er jetzt wieder in New York ist, fünfzehn Jahre nach seinem Verschwinden als Kind. Es ist nicht auszumachen, ob diese irritierende Ratlosigkeit an darstellerischem Unvermögen liegt oder bloß an einer generellen Fehlplanung des dramaturgischen Konzepts. Immerhin erfährt man dann, dass Harold Meachum wider Erwarten noch am Leben ist und versteckt im Untergrund lebt. Schnell wird er (gespielt vom "300"-Recken David Wenham) als Dannys Antagonist in Stellung gebracht. Wie ein Bond-Bösewicht haust er inkognito in einem bunkerartigen Penthouse, von wo aus er seinem Sohn Ward Anweisungen gibt. Joy scheint davon nichts zu wissen.

Jessica Henwick
Jessica Henwick als Martial-Arts-Lehrerin Colleen Wing
In der zweiten Episode wird der Plot immerhin etwas stringenter. Da erwacht Danny, zuvor von Joy betäubt, in einer ihrem Vater gehörenden Psychiatrie, und stellvertretend für uns Zuschauer lassen sich erst der behandelnde Arzt (Murray Bartlett aus "Looking"), dann der verdächtig interessierte Harold die Hintergrundgeschichte des Titelhelden erklären: Danny war nach dem Absturz, den er im Alter von zehn Jahren überlebte, ins mythische K'un-Lun entrückt worden, wo er unter Kriegermönchen im "Orden der Kranichmutter" aufwuchs und zur neuen "Iron Fist" ernannt wurde, die dazu bestimmt ist, ihr Leben dem Kampf gegen die "Hand" zu widmen, jene Schurken-Organisation also, mit der auch Daredevil zu tun hat. Am Ende dieser Folge, die überwiegend in der Psychiatrie spielt, gibt es dann erstmals die titelgebende Faust zu erleben: Dannys Hand hat, gülden illuminiert, so viel Kraft, dass sie selbst massivste Irrenhaustüren mühelos durchschlägt. Iron Fist - der Held mit dem Bud-Spencer-Punch!

Bis dieser Hauptgimmick der Show erstmals zu bewundern ist, dauert es sehr lange. Fast zu lange, um selbst den bingefreudigsten Netflix-Kunden zum Weiterschauen zu animieren - egal, wie gut es später in der Staffel noch werden lönnte. Ausgedehnten, mitunter schrecklich banalen Gesprächssequenzen steht ein sehr geringer Action-Anteil gegenüber, und trotz der enervierend häufig eingesetzten Absturz-Flashbacks ist nach zwei Folgen immer noch keine zwingende Erzählrichtung auszumachen. In den USA hat diese zähe Veranstaltung für sehr harsche Verrisse gesorgt, was teilweise aber auch mit der seit Monaten rumorenden Debatte zu tun haben könnte, dass der Titelheld nicht (wie von vielen Fans gefordert) mit einem asiatischstämmigen Darsteller besetzt wurde, sondern mit dem rotblonden Jones, der als "weißer Held" nun zen-buddhistische Fernost-Weisheiten klopft wie ein Millennial mit Kalenderspruch-Flatrate. Als Feigenblatt gibt es immerhin die Martial-Arts-Lehrerin Colleen Wing, die als Dannys Sidekick aufgebaut wird. Wie dieser wird auch sie von einem "Game of Thrones"-Star aus der zweiten Reihe gespielt: Jessica Henwick, Britin asiatischer Herkunft. Sie spielte im HBO-Hit die "Sand Snake" Nymeria. Tatsächlich ist Colleen hier sofort die mit Abstand interessanteste Figur, weil sie Charme, Witz und Ironie mitbringt, Eigenschaften also, die die Serie ansonsten sträflich vermissen lässt.

Ist also alles schlecht? Nun, es ist schwer zu sagen nach zwei Folgen. Die Querverbindungen ins MCU müssen erst noch gezogen werden (neben Rosario Dawson als Claire Temple sollen auch Wai Ching Ho als Heroinkönigin Gao und Carrie-Anne Moss als Anwältin Jeri aus den Schwesterserien vorbeischauen), außerdem ist Endboss-Besuch aus K'un-Lun in Gestalt der "Steel Serpent" angekündigt. Möglich also, dass vor allem der Martial-Arts-Aspekt, der die Comics so sehr prägte, noch an überfälliger Bedeutung gewinnt (als Regisseur der sechsten Folge zeichnet immerhin Wu-Tang-Clan-Boss RZA verantwortlich). Möglich aber auch, dass Showrunner Buck lieber vom Mönchsmilliardär unter korrupten Wirtschaftsbossen erzählen möchte und sich dabei weiter in einem bierernsten Identitätskonfliktdickicht verheddert. Der erste Eindruck jedenfalls enttäuscht.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden von "Marvel's Iron Fist".
Meine Wertung: 2.5/5
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Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Netflix


20.03.2017 - Gian-Philip Andreas/wunschliste.de
Bild: Netflix


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  TV-Kritik: "Marvel's Iron Fist"
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